Der Außenminister müsste Deutschlands Position in der Euro-Krise vermitteln und dafür werben - aber er schweigt

"Wo ist Behle?" - diese fast verzweifelte und ständig wiederholte Frage machte den Sportkommentator Bruno Moravetz bei den Olympischen Spielen in Lake Placid 1980 berühmt. Eine ähnliche Frage drängt sich 32 Jahre später auf, allerdings nicht mit Blick auf den Skilangläufer Jochen Behle, sondern auf Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Auch ihn fangen kaum noch Fernsehkameras ein, auch er droht von den Radarschirmen zu verschwinden, auch er fährt der Spitze hinterher.

Viel hätte nicht gefehlt und der langjährige FDP-Vorsitzende, der die Liberalen 2009 mit fabulösen 14,6 Prozent zurück in die Regierung gebracht hatte, wäre 2011 durch die Niederlagenserie der Partei aus dem Amt gespült worden. Im Auswärtigen Amt gibt es nicht wenige, die darauf gehofft haben. Denn Westerwelles Bilanz fällt dürftig aus und lässt sich nach drei Phasen unterteilen. Zunächst fremdelte der Liberale, der über Jahrzehnte in der Innenpolitik beheimatet war, mit seiner neuen Aufgabe und verhedderte sich mit Ausflügen in die Niederungen bundesrepublikanischer Steuer- oder Sozialpolitik. Danach schwenkte der 52-Jährige auf die Außenpolitik und holte sich mehrmals eine blutige Nase. Und seit einigen Monaten scheint er regelrecht abgetaucht. Der Mann, der in Genschers Fußstapfen treten wollte, äußert sich mal hier zum Grass-Israel-Gedicht, mal dort zum Beschneidungsurteil eines Landgerichts. Die Weltpolitik wird ohne ihn gemacht.

Es ist nicht lange her, da traten Westerwelle und die bürgerliche Koalition noch mit dem Ziel an und auf, Deutschland als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat zu verankern. Davon hört man inzwischen kaum noch. Dazu hat das Abstimmungsverhalten der Deutschen in der Libyen-Frage beigetragen: Erstmals war Deutschland mit seiner Enthaltung zum Nato-Einsatz aus dem Verbund der westlichen Staaten ausgeschert. Zwar vertrat Westerwelle damals die Mehrheit der Deutschen, international fiel das Echo indes verheerend aus. Die Bilanz: Deutschland hat Einfluss verspielt, der Friedenspolitiker Westerwelle aber kaum an Statur gewonnen.

Noch kritischer fällt die Bilanz aus, wenn man das Auslandsecho auf die deutsche Politik in der Euro-Krise verfolgt. Schon bei den G-20-Treffen der größten Industriemächte stand Deutschland zuletzt immer wieder wegen seiner Exportorientierung am Pranger. Nun hat die Kritik an einer vermeintlichen Politik des Haderns und der Fixierung auf das Sparen eine Dimension erreicht, die Angela Merkel sogar zu Zugeständnissen zwang. Ob die US-Administration unter Obama, die britische Regierung unter Cameron, die EU-Institutionen oder die südeuropäischen Krisenstaaten - sie alle arbeiten sich an den Deutschen ab und machen sie zum Sündenbock der Krise. Selten wurde ein Retter so angegriffen. Abgesehen von wenigen verbliebenen Verbündeten im Euro-Streit ist Deutschland isoliert. Laut Definition vertritt das Auswärtige Amt, dem Westerwelle vorsteht, "die Interessen Deutschlands in der Welt". Wo ist Westerwelle?

Betrachtet man die Forderungskataloge und die Schuldzuweisungen an die Adresse Deutschlands, sind diese Interessen wohl kaum über den Werderschen Markt in Berlin, jedenfalls nicht bis zu den Verbündeten durchgedrungen. Offenbar gelingt es derzeit kaum, die eigene Sichtweise in der Welt darzulegen und um Verständnis zu werben. Und während Europa durch seine tiefste Krise schliddert, schweigt der Außenminister. Natürlich wächst in Krisen- und Gipfelzeiten die Macht der Regierungschefs auf Kosten der Außenminister. Doch früher bildeten beide stets Gespanne - ob Adenauer und Brentano, Brandt und Scheel, Kohl und Genscher oder Schröder und Fischer.

Heute ist Sand im Getriebe. Es ist bezeichnend, dass es Angela Merkel war, die warnte, Deutschland nicht zu überfordern. Und noch bezeichnender, dass Westerwelles letzte wichtige Äußerung zum Euro innenpolitischer Natur war. Da hatte Wolfgang Schäuble Euro-Bonds nicht für alle Ewigkeiten ausgeschlossen und wurde dafür von Westerwelle gerüffelt. Man betrachte die Verantwortlichkeiten: Schäuble ist Finanzminister, Westerwelle der Minister, der nicht müde wird "Europa als das Fundament deutscher Außenpolitik" zu bezeichnen.

Wo ist Westerwelle? Auf verlorenem Posten.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt