Der Sommer ist mir noch was schuldig - heiße Tage, an denen ich den Schatten suche, milde Abende auf der Terrasse oder an der Elbe. Aber ich will nicht kleinlich sein. Unser Garten scheint mit dem Wetter zufrieden zu sein. Alles wächst üppig, fast verschwenderisch, die Blumen scheinen in ihrer Farbenpracht fast zu explodieren. So als ob die fehlenden Sonnenstunden auf diese Weise ausgeglichen werden sollen.

Hinter dieser Pracht steckt Arbeit, viel Arbeit. Blumen und Büsche werden angeordnet, Arrangements von Pflanzen entstehen. Es wird beschnitten, gepflegt und gewässert - zugegeben, überwiegend macht das meine Frau. Ich freue mich an der Pracht.

Sinnbild einer solchen Freude am Garten ist für mich ein Bild von Emil Nolde - "der große Gärtner" heißt es. Es könnte ein Selbstbildnis sein. Manche Gesichtszüge des Gärtners erinnern an Nolde. Noch heute kann, wer den Garten um Noldes Atelier in Seebüll in Nordfriesland besucht, etwas von der Freude erahnen, die er in seinem Garten empfunden haben muss.

Doch Emil Nolde hat nicht nur die Blumen angesehen, sondern er hat in sie hineingeblickt. Seinen tiefen Blick hat er uns als Bild geschenkt. Ein alter Mann, aufmerksam den Blumen des Gartens zugewandt. Zärtlich streicht er über einen Blütenkelch, liebevoll ist sein Blick auf die Blume gerichtet. Sein Gesicht leuchtet. Das Orange der Blume färbt auf sein Gesicht ab. Oder ist es umgekehrt? Es geht dem "großen Gärtner" längst nicht nur um die klassische Arbeit im Garten. Sein Blick und die Farbgebung signalisieren die enge Beziehung zu seiner Blume. Sie wird zum Sinnbild einer Beziehung. Zur Gartenarbeit gehört das Anpflanzen und Pflegen genauso dazu wie das Wässern und das Düngen. Vor allem aber signalisiert dieser Gärtner seinem Garten Zuwendung und Liebe.

So stelle ich mir Gott vor - ein Gärtner, auch im Gegenüber zu mir. Er arbeitet an und mit mir, aber vor allem spüre ich seine Zuwendung und Liebe. Ja, und gelegentlich geht es mir auch so, dass ich das Gefühl habe, er sei mir etwas schuldig. Und dann antwortet er mir und lenkt meinen Blick auf das Ganze seines Gartens.

propst.melzer@kirchenkreis-hhsh.de