Innenminister diskutieren über Sicherheit in Stadien. Viele Vorschläge sind Sprechblasen

Über viele Jahre haben Politiker versucht, mit dem Fußball Staat zu machen. Helmut Kohl pflegte den Nationalspielern nach erfolgreich beendeten Spielen körperlich nahe zu kommen und sie beinahe zu erdrücken. Hobbykicker Gerhard Schröder sonnte sich auf der Ehrentribüne im Glanz der Fußballelite. Angela Merkel tauchte gar für einen guten Schnappschuss mit dem halb nackten Mesut Özil in der Kabine auf.

Jetzt aber ist die Zeit des Kuschelns vorbei. Von den Regierenden werden andere Qualitäten verlangt. Die zunehmende Gewalt rund um die deutschen Fußballstadien hat die Innenminister alarmiert. Bundesminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und seine Law&Order-Kollegen aus den Ländern wollen den Hooligans die Rote Karte zeigen. So jedenfalls haben sie es bei ihrer Konferenz im mecklenburgischen Göhren-Lebbin angekündigt.

Doch die vielfältigen Lösungsvorschläge der Sicherheitspolitiker sind eher Sprechblasen und zeigen nur, wie hilflos die Staatsorgane den aktuellen Vorfällen gegenüberstehen. Da wurden elektronische Fußfesseln ins Gespräch gebracht, höhere Zäune, Alkoholverbote, personalisierte Eintrittskarten, Gesichtsscanner, Videoüberwachungen und als letztes Tabu eine Beschränkung auf Sitzplätze. Versuchsballons, die über Mecklenburg aufstiegen. Dazu spielte Friedrich die Rolle des starken Mannes, als er drohte: "Das liegt jetzt in der Hand der Fans selber." Erkennbar ist, dass die Innenminister im Umgang mit der Randale den Ton verschärft haben.

Richtig ist: Die Gewalt in und um die Stadien hat ein Maß erreicht, das nicht mehr tolerierbar ist. Die Bahn muss nahezu jeden Zug, in dem Fans transportiert werden, nach einem Wochenende zur Instandsetzung aus dem Verkehr ziehen. Pyrotechnik jeglicher Art mag zum Kirschblütenfest an der Alster gehören, aber nicht auf die Tribüne, wo sich nebenan Familien vergnügen wollen. Friedliche Zuschauer, die immer noch die überwiegende Mehrheit der Stadionbesucher stellen, müssen vor jedem Hauch von Gewalt geschützt werden.

Richtig ist auch, dass die Vereine ihrer Sorgfaltspflicht weit mehr als bisher nachkommen müssen und Ausschreitungen nicht länger unter der verniedlichenden Rubrik "Fankultur" abbuchen dürfen. Fußball-Bund und Fußball-Liga haben viel zu lange weggesehen. Die meisten Beteiligten haben es versäumt, mit den Fans zu reden - und nicht nur über sie. Zu Recht erwarten die Innenminister, dass sich die Profiklubs so schnell wie möglich einheitliche Standards geben, so schmerzhaft das auch sein mag. Das alles wird Geld kosten und den Besuch eines Fußballspieles womöglich für immer verändern.

Doch nicht alle Vorfälle der vergangenen Tage dürfen in einen Topf geworfen werden. Ein Zuschauer, der - natürlich nach dem Schlusspfiff! - in überschäumender Freude auf den Platz läuft, ist allein dadurch noch kein Gewalttäter. Wenn Stadionbesucher überhaupt keine Emotionen mehr ausleben dürfen, können sie gleich zu Hause bleiben und sich vor das Fernsehgerät setzen.

Die Idee einiger Politiker, hoch emotionalisierte Fußballfans wie Raubtiere hinter Gitter zu sperren, verbietet sich seit den Tragödien von Heysel und anderen Stadien in den 80er-Jahren von selbst. Dort waren es gerade die unüberwindbaren Zäune, die zur Todesfalle wurden. Käfighaltung, weiß jeder Psychologe, erhöht die Aggressivität.

Die Engländer haben aus zwei Katastrophen mit vielen Todesopfern eine drastische Konsequenz gezogen: Kein Bier mehr und nur noch Sitzplätze in den Arenen. Eine Maßnahme, die hierzulande noch lautstark kritisiert wird, hat sich in den Stadien der Insel als praktikabel erwiesen. Die Stimmung mag gelitten haben, aber gesungen wird dort immer noch.