Ein Kommentar von Matthias Gretzschel

Was zurzeit in Florenz vor sich geht, stört den Weihnachtsfrieden vieler Kunstfreunde in aller Welt. Dabei geht es wieder mal um eine ganz alte Geschichte: Am 29. Juni 1440 fand in der Nähe von Anghiari eine Schlacht statt, die eigentlich längst vergessen wäre. Wenn Leonardo da Vinci nicht 66 Jahre später den Auftrag erhalten hätte, im Palazzo Vecchio, dem florentinischen Machtzentrum, das Gemetzel in einem Wandgemälde zu verherrlichen. Das tat Leonardo auch, aber offenbar ohne den rechten Elan, denn das Werk blieb unvollendet. Und als das Multitalent Giorgio Vasari um 1570 die Wand mit einer anderen Schlacht, nämlich der von Scannagallo, verzierte, ging Leonardos Schlachtenbild verloren.

Aber vielleicht nicht für immer, denn der Kunsthistoriker Maurizio Seracini ist davon überzeugt, dass sich unter Vasaris Bild noch das von Leonardo finden lässt. Deshalb wird im Palazzo Vecchio kräftig gebohrt, buchstäblich durch das Vasari-Bild. Vasari ist hochberühmt, Leonardo aber ein Halbgott. Und ein neuer Leonardo, das wäre schon was. Trotzdem, meinen 150 Kunstexperten aus aller Welt, rechtfertigt das den Bohr-Frevel von Florenz keineswegs. In einer Petition protestieren sie gegen die Zerstörung des Wandgemäldes. Der Bürgermeister der norditalienischen Stadt meint zwar, dass nur dort gebohrt werde, wo das Vasari-Bild ohnehin beschädigt sei, aber das mag man ihm nicht recht glauben. Und ob ihm die Bohrarbeiten Glück bringen werden, ist auch fraglich. Leonardo meinte einmal: "Das Glück besteht darin, in dem zu Maßlosigkeit neigenden Leben das rechte Maß zu finden." Und das scheint in Florenz verloren gegangen zu sein.