Die 21-jährige Hamburger Abiturientin Sara Klatt traf sich in Israel mit der Tochter der berühmten Reformpädagogin Anna Warburg.

Niendorf. Seit zwei Jahren beschäftigen sich Lehrer und Schüler der Beruflichen Schule für Sozialpädagogik in Niendorf mit dem Leben der bekannten Hamburgerin Anna Warburg. Sie war eine der wichtigsten Reformpädagoginnen Hamburgs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Jüdin Anna Warburg, die 1881 im schwedischen Stockholm geboren wurde und als 15-jähriges Mädchen nach Hamburg kam, war maßgeblich an der Reform der Warteschulen, der damaligen Kindergärten in der Hansestadt, beteiligt. 1967 starb Anna Warburg in Israel. Heute wäre sie 130 Jahre alt geworden.

Schulleiterin Elke Weiß gelang es, ihre Schule im November 2009 nach Anna Warburg zu benennen. "Nach langer Namenssuche hat mich die Geschichte dieser Frau sofort fasziniert", sagt Weiß. Wie auch zahlreiche aktuelle und ehemalige Schüler. So reist die 21-jährige Sara Klatt, die im Sommer das Abitur an der Anna-Warburg-Schule bestanden hat, derzeit durch Israel. Sie arbeitet in Tel Aviv als freiwillige Helferin in einem Rehazentrum und sucht zudem nach Anna Warburgs Spuren.

"Ich hatte von Anna Warburg im Unterricht erfahren. Durch meinen Besuch in Israel wurde mein Interesse an ihrem Leben dann immer größer", sagt Klatt. So groß, dass die junge Frau die Chance ergriff und sich in Israel mit der jüngsten der drei Töchter von Anna Warburg verabredete. Mit Esther "Noni" Shalmon, geborene Warburg, traf sich Sara Klatt vor einer Woche in deren Wohnung nahe der Stadt Beer Sheva-Omer. In einer Gemeinschaftssiedlung lebt die 90-Jährige dort seit vielen Jahren. "Noni" Warburg, 1922 in Hamburg geboren, unterhielt sich mit Klatt über mehrere Stunden. Über Hamburg, ihre langjährige Arbeit als Kindergärtnerin und die Wunden des Holocaust. "Esther Shalmon ist eine charismatische Frau, die mich mit ihrer jung gebliebenen und lebendigen Art beeindruckt hat", sagt Sara Klatt.

Auch über deren Mutter Anna stellte Sara Klatt Fragen und erfuhr Details aus deren Leben. Anna Warburg, die durch ihren Onkel Aby S. 1896 nach Hamburg gekommen war, kämpfte erfolgreich für eine bessere Ausbildung der Kindergärtnerinnen. Durch ihren Einsatz wurde 1911 Hamburgs erstes Kindertagesheim als Ausbildungsstätte eröffnet. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beherbergte sie viele Juden auf ihrem Grundstück in Blankenese. 1939 musste sie mit ihrem Mann Fritz vor den Nazis nach Stockholm fliehen, später ging sie nach Israel.

Schulleiterin Weiß lässt diese Geschichte und Erzählungen über die Errungenschaften von Anna Warburg immer stärker in den Unterricht einfließen. Mit Erfolg. Die Schüler vom Niendorfer Marktplatz beschäftigen sich intensiv mit dem Leben der Jüdin. Auch ganz freiwillig.

So freut sich auch Sara Klatt, zur deutschen Beziehung zu den Warburgs beigetragen und ihrer alten Schule damit geholfen zu haben. "Die deutsch-israelischen Beziehungen haben sich in den letzten Jahrzehnten durch die Aufarbeitung des Holocaust stark verbessert. Nur durch weiteren Austausch können weitere Brücken gebaut werden, und den Zeitzeugen der Geschichte kann die nötige Ehre erwiesen werden", sagt Klatt, selbst Enkelin eines Holocaust-Überlebenden. "Meine Generation hat die Möglichkeit, sich noch persönlich mit Zeitzeugen des Dritten Reichs zu beschäftigen. Durch den Besuch konnte ich ein wenig an der Geschichte teilhaben", so Klatt.

In Niendorf werden die Erkenntnisse der ehemaligen Schülerin nun in den Unterricht einfließen. "Es ist klasse, wenn unsere Schüler die Geschichte von Anna Warburg real erleben", sagt Schulleiterin Weiß. "Wir versuchen, den Schülern die Rolle Anna Warburgs als Reformpädagogin deutlich zu machen. Wir fühlen uns dem Namen verpflichtet."

Elke Weiß meint es ernst. Sie will Anna Warburg den Hamburgern in Erinnerung rufen. Ideen hat sie viele. Und sie setzt sie um. Seit dem vergangenen Schuljahr wird an der Schule der Anna-Warburg-Preis für eine besondere Arbeit vergeben. Dem Sieger winken 1000 Euro Preisgeld der Jugendhilfestiftung Leuchtfeuer. 2011 hieß das Motto "Verantwortung übernehmen", in diesem Jahr geht es um Inklusion.

Ein Lehrer, den die Geschichte von Anna Warburg ebenfalls gepackt hat, ist Hinrich Eberhardt. In seinem Unterricht ist die Jüdin, die für Hamburg Großes geleistet habe, immer ein Thema. "Wie kann ihre Geschichte und die versuchte Auslöschung jüdischen Lebens in Deutschland lehrreich sein, ohne zu erstarren? Wir wollen gemeinsam mit den Schülern eine eigene Erinnerungskultur schaffen", sagt der Lehrer für Geschichte und Politik. "Wir nutzen die Namenspatronin, um über sie, über ihr Leben und ihre Arbeit, ihre Verfolgung, ihre Neuanfänge und somit über ihre und unsere Geschichte ins Gespräch zu kommen."

Um die Geschichte von Anna Warburg weiter lebendig zu gestalten, will die Schule den Kontakt zu ihrer Familie in Israel weiter pflegen. Zur Umbenennung der Schule kamen vor zwei Jahren neun Enkel und Urenkel von Anna Warburg nach Niendorf. Mit Sara Klatt besuchte nun erstmals eine Schülerin aus Hamburg die Warburgs in Israel. Es soll nicht die letzte gewesen sein. Elke Weiß verspricht: "Wir werden auf ihren Spuren weiterreisen."

Wie Sara Klatt es eben schon sehr erfolgreich getan hat. Auch die Weihnachtstage verbrachte die junge Hamburgerin in Israel - zum ersten Mal war sie damit an den Festtagen nicht in ihrer Heimatstadt Hamburg. "Meine Familie habe ich vermisst, aber ansonsten habe ich mich sehr wohlgefühlt in Israel", sagt sie. In Jerusalem feierte sie Heiligabend in der Erlöserkirche, besuchte dort die Christmette.

Der gebürtigen Reinbekerin ist Israel mittlerweile fast schon eine zweite Heimat geworden. "Die Menschen machen es mir hier sehr leicht, mich zu Hause zu fühlen", sagt Sara Klatt, die in den kommenden Monaten weiter das Land entdecken will. "Ich genieße das Privileg, als Deutsche mit wenigen Reiseeinschränkungen alle Seiten dieses faszinierenden Landes erleben zu dürfen."