Der 54-jährige Thalia-Intendant Joachim Lux über seine Theater-Ehe, die nullte Stunde am frühen Morgen und Hamburg kontra Wien.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an Personen, die hier arbeiten, die etwas Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang der Abendblatt-Serie machte Altbürgermeister Henning Voscherau. Heute in der 21. Folge: Joachim Lux

Draußen am Gerhart-Hauptmann-Platz säuselt, bimmelt und duftet der Weihnachtsmarkt vor sich hin, um die Kauflaune anzukurbeln. Drinnen im Thalia-Theater haben gerade tausend Kinder den "Gestiefelten Kater" gesehen, das Weihnachtsmärchen.

+++Ein dramaturgischer Schildbürgerstreich+++

+++Wir sind weder elitär noch autistisch+++

Intendant Joachim Lux, 54, bittet fürs Foto mit dem roten Faden hinauf ins Mittelrangfoyer, wo die bunten Ergebnisse einer Malaktion zum Märchen zeigen, dass die junge Generation noch zu retten ist für das Theater. Der Faden wird um einen Mini-Weihnachtsbaum geschlungen, der Blick geht vieldeutig nach oben - dann ist das Foto geschafft. So viel Weihnachten ringsumher - was hat das mit ihm zu tun?

Die Antwort gibt's im Souterrain, im Raucherraum der Theaterkantine: "Weihnachten ist für mich nicht irgendeine Party. Es ist für mich ein wichtiges Familienfest, mit Weihnachtsbaum - nicht Jahresendbaum. Ich finde, dass ein gewisser Kinderglaube, in welcher Verwandlung bei den Erwachsenen auch immer, durchaus seine Legitimität hat. Und dass bestimmte religiöse Aspekte auch in ein Erwachsenendasein hinein transformierbar, erlebbar sein können. Es konfrontiert mit der Frage, ob es irgendetwas jenseits von uns selbst gibt - wir wissen es nicht, aber wir hoffen es."

Mit dem Konsumrausch außerhalb der Theatertore hat er, sagt er, nichts zu tun. "Ich gehe weder auf Weihnachtsmärkte noch mit Tüten bepackt tagelang durch die Innenstadt." Und wo kommen dann die Geschenke her? "Zum Teil macht das meine Frau, aber ich denk mir schon auch selbst was aus."

Seine Frau, das ist Susanne Meister, Dramaturgin am Thalia-Theater. Eine Theater-Ehe; kennengelernt haben sich die beiden bei der Vorbereitung zu einer Collage aus "Macbeth" und "König Ubu" - das war in Bremen. Dann sind sie nach Wien gegangen, Tochter Katharina, 12, wurde im Alter von drei Monaten mit "umgezogen", Konstantin, der zehn Jahre alte Sohn, kam in Wien zur Welt, k. u. k. sozusagen.

Zwei Kinder, zwei Stressjobs - das lässt sich nur regeln, wenn man zu unterschiedlichen Zeiten zu Hause sein kann. "Im ersten Jahr habe ich mich meist um das Thema Kinder und Schule gekümmert - es gibt ja diese terroristische, sinnenfeindliche nullte Stunde, die um 7.40 Uhr beginnt, während ich oft erst um ein, zwei Uhr nachts ins Bett gehe. Jetzt macht das fast immer meine Frau. Aber wir tauschen es so ein bisschen hin und her." Und das Theater ist immer dabei? "Oft schon, aber die Kinder fordern Gott sei Dank ihr Recht auf eine andere Welt."

Joachim Lux stammt aus Münster, dabei denkt man nicht zuerst an Theater, sondern an Kirchen, katholische. Obwohl beides für ihn zusammengehört: "Ich bin katholisch erzogen und habe eine atemberaubende Karriere gemacht als Messdiener an der Pfarrkirche über den sogenannten Akoluthen, den Kerzenträger im Dom, zum Weihrauchschwenker. Und dann traf ich Menschen, die haben so etwas Ähnliches gemacht, nur im Theater. Die kriegten sogar ein paar Mark dafür." So ist er - seine erste Begegnung mit dem Theater - Statist bei der Oper geworden, "Die Italienerin in Algier", hat als Sklave ein Mühlrad gedreht und wurde ausgepeitscht.

Theater, das war auch Emanzipation vom Zuhause, einem Juristenhaushalt. Das Theater war eine Gegenwelt zur bürgerlichen Solidität, ein eigener Kosmos, der scheinbar mit der Welt nichts zu tun hat, obwohl er die Welt abbilden soll - "ein schöner Widerspruch". Was hat ihn da ganz konkret fasziniert? "Der Geruch der Schminke und dann das Licht. Ich mochte, wie da Stimmungen und Gemütsregungen erzeugt werden, wie mit Licht Seelenräume gestaltet wurden."

Germanistik und Geschichte studiert er in Münster und Tübingen, macht auch noch das Staatsexamen für das Lehramt Sekundarstufe II. Das Theater aber lässt ihn nicht mehr los.

"Es ist wunderbar zu sehen, wie Schauspieler Figuren aus toter Literatur schaffen. Und ich habe gemerkt: Theater ist wie ein Schweizer Präzisionsuhrwerk - wenn da ein Haar hineinkommt, funktioniert überhaupt nichts mehr. Das ist die eine Seite. Und die andere: Theater ist komplett tot, wenn nicht Spontanität, Chaos, Störung, Verrücktheit passieren oder zugelassen werden. Das widerspricht sich komplett, davon aber lebt das Theater. Das Leben übrigens auch: Ich brauche Regeln für mein Leben, aber bitte, bitte, lasst uns dafür sorgen, dass wir sie auch immer wieder sprengen dürfen und uns überraschen lassen, erlebnishungrig bleiben. Gelegentlich kann das Theater dabei helfen, das ist sein tieferer Sinn."

Joachim Lux ist einer, der vor Widersprüchen keine Angst hat, der aus ihnen Antrieb schöpft. Wie anders könnte er es heute just an der Stelle aushalten, wo täglich der Widerspruch zwischen ökonomischen Zwängen und überschießender Kreativität neu ausbalanciert werden muss?

Zu Beginn seines Weges organisiert er große Festivals mit, wird Dramaturg in Köln und Düsseldorf. Es macht ihm Vergnügen, die Welt verstehen zu wollen, "tausend Ideen und Phänomene zu sammeln, eine gedankliche Struktur zu finden, über das Soziologische und Gesellschaftliche sowie über Kunst und Ästhetik nachzudenken, am Ende das Abstrakte ins Konkrete und Sinnliche zurückzuführen - und eine unmittelbare Antwort zu bekommen: von den Zuschauern. Ich könnte mir nie, nie, nie vorstellen, bei einer Bank zu arbeiten oder als Universitätsprofessor."

Sollte ihn je jemand fragen, ob er nicht Kultursenator werden wolle, würde er, der gern eloquent und meinungsstark die Interessen der gesamten Hamburger Kultur vertritt, antworten: "Ich bin gern Intendant des Thalia-Theaters. Hier kann man künstlerische Arbeit und gesellschaftliche Funktion zusammenführen. In dem Moment, wo man Politiker wird, löst sich das Konkrete woandershin auf, in Strukturen, in Verwaltungstätigkeit oder in Gremienarbeit." Etwas davon hat er zwar als Intendant auch "an der Backe", aber da geht es ums Theater.

Er geht 1996 nach Bremen, weil er dort endlich mal mit Oper zu tun haben darf und DDR-geprägte mit West-Schauspielern zusammenbringen kann. 1999 kommt dann der Anruf vom Oberhaus des Sprechtheaters, dem Burgtheater in Wien. Zehn Jahre arbeitet er dort, zuletzt als Chefdramaturg. Bis ihn der Ruf aus Hamburg ereilt.

Inzwischen ist eine Basismahlzeit serviert worden, Spaghetti mit Tomatensauce. Der Tisch ist niedrig, der Intendant geht in die Hocke - Äußerlichkeiten, Bequemlichkeiten kommen bei ihm nicht an erster Stelle. Ob er ein Genussmensch ist? Er lacht: "Im Augenblick grad nicht. Aber ich esse schon gern, gelegentlich auch gut." Und sonst? "Ich bin sehr gern an der frischen Luft, egal ob an der Nordsee oder in den Bergen, da vergesse ich alles sofort. Ich brauche das Theater nicht zum Leben - ich liebe Radtouren, Skifahren, Wandern, Drachensteigen. Da geht vieles durch den Kopf durch, nicht um eine andere Form des Arbeitens zu erfinden, sondern um innere Leere zu schaffen, Freiheit. Ich könnte stundenlang auf der Terrasse im Liegestuhl in den Hamburger Himmel gucken, und wenn Sie mich nach drei Stunden stören, denke ich: Das waren doch erst fünf Minuten."

Vor den Spaghetti waren wir in Wien. Ist Hamburg von da kulturell ein Abstieg? Nein, ganz so schlimm ist es nun auch nicht. Er ist sehr zufrieden, das Lux-Thalia sei vom Publikum sehr schnell angenommen worden mit großem Enthusiasmus, auch die Lessing-Tage mit ihrem internationalen Programm, die jetzt wieder vor der Tür stehen: "Die Menschen haben großes Vertrauen zum Thalia-Theater und dem, was wir anbieten."

Doch bis zur europäischen Metropole des Nordens sei es für Hamburg noch ein weiter Weg. "Der Humus im Mittelstand ist zu dünn. Wenn sich da was ändern soll, müssen zu Hause die Eltern damit anfangen, dass die Kinder ein Instrument lernen, dass sie malen, darstellendes Spiel lernen. Das ist das, was den Menschen ausmacht: dass man sich nicht nur dem unmittelbaren Nutzen verdingt. Das ist eine Sache von Generationen, aber es lohnt sich. Ein Leben ohne Kultur ist erbärmliche Neandertalerei."

Und wie hält er's damit zu Hause? "Ich bin auch ein braver Bürger", räumt er ein. Erst werde aufgeräumt, dann die Wasserkästen zum Getränkehändler gebracht und neue bestellt, "es braucht eine Basis im Nützlichen. Aber dann fängt etwas anderes an, 'das Eigentliche', wo ich, naturgemäß viel zu wenig, die Muse suche, Musik, Literatur ..." Fernsehen? "Nein, vielleicht eine Stunde im Monat." Und die Kinder? "Sind derzeit in einem rauschartigen Lesefieber - so schnell kann man die Bücher gar nicht zur Bücherhalle bringen und andere holen. Das heißt nichts anderes, als dass man sich andere Welten verschafft und sich in sie vertieft."

Ist das Glück? "Das ist der geglückte Augenblick. Er kann sich ereignen in Kunst, beim Betrachten eines Bildes, bei Musik, einer Theateraufführung, in einer Liebe, in einem Gespräch, in der Natur - letztlich überall. Momente der Daseinsvergessenheit, in denen man nicht ans Vorhergehende und nicht ans Zukünftige denkt, sondern tatsächlich nur da ist." Ist Theater dafür ein Wahrnehmungsverstärker? "Ja", sagt er und warnt zum Schluss schelmisch vor dem eigenen Tun, "aber auch ein Suchtmittel. Wenn ich das im Theater hier und da in besonderer Intensität erlebe, dann hat es das Echte viel schwerer, mir ähnliche Momente zu schenken."

Joachim Lux bekam den roten Faden von Sonja Lahnstein (Step 21) und reicht ihn kommende Woche weiter an Professor Wolfram Weiße, Direktor der Akademie der Weltreligionen, mit dem er in Vorbereitung der "Nacht der Weltreligionen" während der Lessing-Tage viele Gespräche geführt hat.