Viele sind der Feierpraxis überdrüssig. Doch auch Nichtchristen dürfen sich vom Weihnachtsfest angesprochen fühlen

Seit ein paar Jahren wird die Festtagsfolklore durch das Auftreten des Weihnachtsmuffels bereichert. Eine wachsende Zahl von Mitmenschen ist nicht länger bereit, einfach mitzumachen und sich zum frohen Fest in ein positives Verhältnis zu setzen. Dem Weihnachtsmuffel ist die christbaumbeleuchtete Wohnstubengemütlichkeit ein Greuel, und so sucht er nach Alternativen. Die Unterhaltungsindustrie hat die Lücke erkannt und hält für die Entnervten ein buntes Angebot bereit, um ihnen das Vergessen zu erleichtern.

Die Demonstration der Antibürgerlichkeit hat viele Gesichter, aber nicht alle ihre Gründe sind banal. Zur Lust an der Provokation gesellt sich der Überdruss an einer Feierpraxis, die sich selbst entwertete, als sie ihre Leidenschaften in Kaufanlässe zu verwandeln begann.

So dürfte auch gläubigen Christen gelegentlich der Gedanke gekommen sein, es den Weihnachtsmuffeln gleichzutun und den Rummel zu meiden. Aber auch Nichtchristen dürften sich an dieser Stelle angesprochen fühlen. Die Verweltlichung, die das Weihnachtsfest längst im Griff hat, droht in Verdummung umzuschlagen, wenn niemand mehr weiß, was da abgelehnt wird und worum es einmal ging.

Es wäre vermessen, den Sinn des Weihnachtsfestes im Powerpoint-Stil abhandeln zu wollen. Gleichwohl ist es sicher nicht falsch, neben der Erinnerung an die Geburt Jesu den Trost zu nennen, den diese Urszene des Christentums den Menschen in Aussicht stellt. "Sie fürchteten sich sehr", heißt es im Lukas-Evangelium, "der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll." Die zentrale, weit über die Dogmatik des Christentums hinausreichende Botschaft des Weihnachtsfestes ist in diesem Aufruf zusammengefasst, der zugleich ein Versprechen ist: "Fürchtet euch nicht!"

Das Wort ist an die Christenheit gerichtet, die sich in diesem Augenblick konstituiert, darüber hinaus aber an alle Menschen. Wer das Wort des Engels verstehen will, muss nicht fromm sein. Es resümiert die Situation des Menschen, der des Beistands bedarf und im Augenblick der Verkündigung sowohl seine Hilfsbedürftigkeit erkennt als auch die Zusage empfängt, dass ihm der ersehnte Beistand gewährt werde: Der Mensch ist nicht allein, die Angst hat nicht das letzte Wort.

Der historische Durchsetzungserfolg des Christentums hängt zweifellos mit seiner ungeheuren Aufnahmebereitschaft zusammen - mit seiner Fähigkeit, unterschiedlichste Elemente des Zusammenlebens zu integrieren und in die Sprache des Glaubens zu übersetzen. Die Kultur des Festes ist ein integratives Element in diesem Sinn. Feste unterbrechen den Alltag, sind ihm häufig sogar entgegengesetzt und stiften über rituelle Handlungen Gemeinschaftlichkeit. Sie mögen nicht rational sein, folgen aber einer ausgeklügelten Rationalität: zum Beispiel der Rationalität der Freude und des Trostes.

Gern verweisen die Verächter des Weihnachtsfestes auf die Geschichte des Christentums, die auch eine Geschichte der Unterdrückung ist.

Solche Erläuterungen wirken allerdings vorgeschoben. Tiefer dürfte die Erklärung reichen, dass die Trostbedürftigkeit des Menschen, die in der Szene der Heiligen Nacht eingefangen ist, mit unserem modernen Selbstverständnis kollidiert. Das Eingeständnis der Trostbedürftigkeit widerspricht unserer Überzeugung, dass wir selbst über die Mittel verfügen, um Angst und Elend zu besiegen. Der Trost steht im Verdacht, uns zu schwächen und der Fähigkeit zu berauben, die Probleme dieser Welt aus eigener Kraft zu bewältigen.

Wer sich allerdings in der Welt von heute umschaut, wird die Frage nicht ganz abwegig finden, ob die moderne Trostverweigerung dem biblischen Trostangebot so viel voraus hat, wie seine Kritiker meinen. Die Unterbrechung des Alltags durch das Weihnachtsfest ist die ideale Gelegenheit, dieser Frage einmal nachzugehen - und es sind, wie wir nicht vergessen wollen, die Festmuffel, die mit ihrem Beispiel den Anstoß dazu geben.