St. Georg. Für einen Moment fühlte er sich als Opfer. Als jemand, der bedroht wurde, erschreckt und in Angst versetzt. Schnurstracks fuhr er deshalb zur Polizei, um den Vorfall zu melden. Doch eigentlich hätte Konrad W. sich den Weg zum Revier sparen können, denn wenig später tauchten die Beamten schon bei ihm auf. Ohne es zu ahnen, hatte der 31-Jährige nämlich gleichsam eine Metamorphose durchgemacht - die unrühmliche Verwandlung vom vermeintlichen Opfer zum mutmaßlichen Täter.

Jetzt ist dem gelernten Elektroniker die ganze Angelegenheit unendlich unangenehm. Die Hände ineinander verschränkt, die Augen gesenkt, sitzt er als Angeklagter vor dem Amtsgericht, weil er laut Staatsanwaltschaft vor rund acht Monaten in einer Sackgasse in Hamm mit seinem Auto unbedingt einen Müllwagen passieren wollte, obwohl zu wenig Platz war und trotz ausdrücklicher Warnung. Dabei soll Konrad W. einem Müllwerker über den Fuß gefahren und schließlich vom Unfallort geflüchtet sein.

Offensichtlich ist ihm mittlerweile seine Schuld bewusst. Denn so viel Bußbereitschaft, wie Konrad W. daraufhin gezeigt hat, sieht man selten. Rund drei Wochen nach dem Vorfall gab er freiwillig seinen Führerschein ab.

Jetzt im Prozess versucht er, seine Empfindungen und die Motivation von damals in Worte zu kleiden. Er habe seinerzeit an dem Müllwagen vorbeifahren wollen und sich dabei "wohl etwas verschätzt", gibt der modisch gekleidete Angeklagte an. Dann habe ein Müllwerker "wie wild auf mein Auto geschlagen, so richtig doll draufgekloppt", sodass er sich erschrocken habe und zur Polizei fuhr, um Anzeige zu erstatten. "Ich hatte zu der Zeit nicht gemerkt, dass ich ihn angefahren hatte." Im Nachhinein sei er dann schon auf die Idee gekommen, dass er den Mann verletzt haben könnte. "Es tut mir auch leid", ergänzt er kleinlaut. "Ich möchte mich entschuldigen."

Opfer Eric S. kennt sie zur Genüge, "die ungeduldigen Autofahrer, die nicht warten können". In der Sackgasse, in der er angefahren wurde, gebe es immer wieder Probleme, erzählt der 38-Jährige. Er habe den Fahrer des rückwärts setzenden Müllwagens einweisen wollen, als plötzlich ein Auto drohte, genau in den Lenkkreis des Lkw zu geraten. "Ich versuchte, ihn mit deutlichen Handzeichen aufzuhalten, und stellte mich ihm in den Weg. Das waren wirklich Signale, die man auf der ganzen Welt versteht. Und ich war als Mitarbeiter der Stadtreinigung zu erkennen, hatte meine Arbeitskleidung an." Trotzdem sei der Mann weiter frontal auf ihn zugefahren. "Da bin ich natürlich zur Seite."

Das Ausweichmanöver hat zwar das Schlimmste verhindern können. Und doch habe der Wagen in Schrittgeschwindigkeit noch seinen Fuß überrollt, sodass er eine Quetschung davontrug und später ambulant im Krankenhaus behandelt werden musste. Zudem habe das Heck des Audi ihn beim Weiterfahren erfasst, sodass er umgestoßen wurde.

Konrad W. habe sogar noch gelacht. "Vielleicht fand er das sogar noch witzig. Aber vielleicht war ihm auch gar nicht bewusst, was geschehen war. Er hat sich wohl einfach verschätzt." Das betont auch der Angeklagte erneut. Zerknirscht steht er von seinem Platz auf, als der Zeuge den Gerichtssaal verlassen will, und reicht dem Müllwerker die Hand. "Es tut mir leid, was passiert ist", erklärt er. Eric S. winkt gelassen ab. "So was passiert nun mal", meint er und lächelt versöhnlich.

Eine schwere Last scheint vom Angeklagten Konrad W. abzufallen, jetzt, da er mit dem Opfer ins Reine gekommen ist. Das Urteil, das die Amtsrichterin gegen ihn verhängt, akzeptiert er sofort: Eine Geldstrafe von 1800 Euro - 60 Tagessätze zu jeweils 30 Euro - muss der 31-Jährige zahlen. Zudem darf Konrad W. weitere drei Monate kein Auto fahren, entscheidet die Richterin. Nach ihrer Überzeugung ist dem Angeklagten klar gewesen, dass er hätte anhalten und warten müssen. Es sei "schlimm, dass Sie direkt auf den Mann zugefahren sind, das geht gar nicht", betont sie in der Urteilsbegründung. "Die Müllwerker stehen da auch nicht aus Jux und Dollerei rum, die müssen ihre Arbeit verrichten." Sie sei überzeugt, dass der Autofahrer das Touchieren des Opfers bemerkt habe und dann weitergefahren sei nach dem Motto: "Schnell weg hier!"

Bei dem Vorgehen des Autofahrers handele es sich um eine "ganz sinnlose Tat. Das Ganze hätte sich innerhalb von zwei Minuten selbst geklärt. Entweder Sie warten, oder Sie kurbeln das Fenster runter und fragen, was los ist. Miteinander zu reden hilft fast immer."