Ein 67-jähriger Fischer erzählt von alten Zeiten, als Hamburg noch eine Hochseeflotte hatte und als von Überfischung noch überhaupt keine Rede war.

Hamburg. Es klingt wie "Es war einmal", wenn der Hochseefischer Willi Petersen, 67, von seinen großen Zeiten erzählt. Das ist zwar erst 40 bis 50 Jahre her, und doch klingen die Geschichten wie aus einem sehr fernen Jahrhundert. Einer guten alten Zeit, als Fischer noch klotzig verdienten und kaum wussten, wohin mit dem ganzen Fang. Als es Begriffe wie überfischte Meere oder aussterbende Fischarten noch nicht gab.

Es muss für heutige Fischer märchenhaft klingen, wenn Willi erzählt, wie sie jedes Mal knietief in edelstem Speisefisch wateten, nachdem das Netz geöffnet worden war. Als der Heilbutt noch so groß war, dass sie ihn zu viert nicht wegtragen konnten. Wie sie in Ausbeutung und Selbstausbeutung tagelang ohne Schlaf durchschufteten, weil ja erst der Fang verarbeitet werden musste. Wie sie auf der Rückfahrt flaschenweise Schnaps soffen, um sich für die Nächte auf dem Hamburger Fischmarkt warm zu trinken. Denn der war nicht wie heute bestimmt von Touristen und Fernsehkameras, die eine falsche Hafenstimmung produzieren - damals wurde dort Fisch gehandelt und die Heuer so mancher Fischer in Kneipen und auf dem Straßenstrich auf den Kopf gehauen. Bis es wieder hinausging. So war das.

Als Willi Petersen, der Hamburger Jung, im Jahr 1959 das erste Mal die Elbe hinunterfuhr auf der "C. P. Andersen", da war er 15 und Decksjunge. Sie fischten in der Nordsee, vorzugsweise vor der norwegischen Küste. Später ist es weiter rausgegangen, auf der "Hans Gosch" etwa, der"Pickenpack" oder der "Hamburg".

"Wenn wir einmal draußen waren vor Grönland, Spitzbergen oder in der Barentssee, dann war da so viel Fisch, dass erst nach 48 Stunden durchgehender Arbeit die ersten drei Mann schlafen durften. Für drei Stunden. Dann die nächsten drei. Wir kamen mit der Arbeit gar nicht mehr nach."

Es war manchmal so kalt im Norden, dass sie mit schweren Hämmern das Eis vom Schiff abschlagen mussten, weil es sonst unmanövrierbar wurde. Sie trugen Fellmützen mit Ohrenklappen, Gummistiefel bis über die Knie und darunter Rosshaarsocken, dicke Filzhosen - der Norden war sehr hart, vor dem Klimawandel. Und wasserdichte Funktionskleidung war noch nicht erfunden.

Drei Wochen insgesamt waren sie auf dem Meer, davon sieben bis zehn Tage, in denen sie durcharbeiteten. Klar, sie wurden gut und ausreichend ernährt. Petersen: "Nur um eins mussten wir merkwürdigerweise immer betteln - wenn wir Fisch essen wollten." Und so organisierten sie: Von schottischen Fischerkollegen gab es für eine Flasche Schnaps aus Bordbeständen drei bis vier Hummer. Die Köpfe vom Kabeljau waren Abfall und wurden weggeschmissen. "Doch wir haben vorher die Zungen rausgeschnitten und in Butter gebraten. Eine Delikatesse."

Bei aller kulinarischen Wohllebe: Ein Reeder, der heute seinen Leuten diese Arbeitsbedingungen zumuten würde, bekäme größten Ärger. Drei Stunden lang wurde damals ein Netz geschleppt, in der Zwischenzeit musste der vorige Fisch geschlachtet werden, und Petersen, der gelernte Netzmacher, flickte das Netz des ersten Fangs auf dem Achterdeck, bevor auch dieses wieder ausgebracht wurde. "Die waren noch aus Manila geknüpft und damit dick genug, dass die Delfine sie orten konnten und nicht als ungewollter Beifang an Deck gezogen wurden." Apropos Beifang, heute eines der Hauptprobleme in der Fischerei: "Das war damals gar nicht der Rede wert, das konnte man vernachlässigen."

Sie fingen alles, was gut und teuer war. Kabeljau, Schellfisch, Rotbarsch, Seelachs. Es gab diese Arten noch in rauen Mengen. Alle Fische so groß, dass ein einzelner Mann sie kaum tragen konnte. "Wenn ich das heute sehe mit den Seezüngelchen im Laden, so was Kleines haben wir damals nicht mit nach Hause gebracht." 13 Meter maß die Öffnung des Netzes, und wenn sie es wieder einholten, waren da beispielsweise 300 bis 400 Zentner Rotbarsch drin. Eine Illusion für heutige Fischer.

Wenn die rund 20-köpfige Crew wieder nach Hause fuhr, hatte sie im Bauch des 50 Meter langen Schiffes 500 und mehr Tonnen Fisch. Der Erlös wurde nach einem bestimmten Schlüssel aufgeteilt. "Wir Fischer haben richtig gut verdient, in manchen Monaten hatten wir mehr Geld als ein Bundesminister in Bonn." Eine Illusion für die modernen Kollegen, die sich zum Beispiel darum prügeln, wer die letzten verbliebenen Thunfische aus dem Meer zieht.

Aber alt wurde man nicht auf diesen Gewalttouren: "Ich kann mich nicht erinnern, einen Kollegen über 50 gesehen zu haben. Die Strapazen hielt man nur als junger Mann durch." Auch Petersen musste vorzeitig seinen Seesack schultern und von Bord gehen. Gesundheitsprobleme. Er ging vor dem Niedergang der Fischerei.

Zu seinen Zeiten kam es noch auf die "Nase des Kapitäns" an, wo heute elektronische "Fishfinder" jeden Hering tief im Wasser aufspüren. Und trotz aller Elektronik - heute ist oft ein Vielfaches des gewollten Fangs Beifang, der wieder über Bord geht. "Es werden zu viele Nicht-Zielarten gefangen und umgebracht und zu viele kleine Fische", sagt zu dieser Art modernem Raubbau die Meeresbiologin Petra Deimer. "Die großen, stattlichen Fische, die zugleich genetisch wichtig sind, um gesunden und starken Nachwuchs zu bekommen, sind hoffnungslos überfischt." Es gibt sie kaum noch.

Auch Petersen hat mit seiner Arbeit auf den Trawlern der 1960er-Jahre wohl schon ungewollt zur Überfischung des Nordatlantiks beigetragen. Nach seinem Abschied hat er in einer Fischfabrik in Hamburg gearbeitet. "Ich konnte sehen, wie von Jahr zu Jahr die Fische kleiner wurden, die wir verarbeitet haben. Die Meere sind leer geräumt."

Erst gab eine Reederei nach der anderen auf, dann schlossen auch die Fischfabriken oder zogen weg aus Hamburg. "Der lange Weg die Elbe runter, bis man schließlich in der Nordsee ist, der machte Hamburg zu einem schlechten Standort", sagt Willi Petersen. Er selbst, traurig über den Niedergang seines Berufs, ist dann auch gegangen. Er lebt nun überwiegend in Portugal, der Heimat seiner Frau Elisabeth.