Während FDP-Chef Philipp Rösler tief in der Krise steckt, kommt das vermeintliche Auslaufmodell Rainer Brüderle groß heraus

"Erst grübeln, dann dübeln." Das ist Rainer Brüderles Motto. Und es hat geklappt. Als ihn schon gar keiner mehr auf der Rechnung hatte, ist Brüderle doch noch zum Bundeswirtschaftsminister aufgestiegen. Daraus, dass für ihn im Oktober 2009 ein Lebenstraum in Erfüllung ging, hat Brüderle kein Hehl gemacht. "Es hat sich verzögert", hat Brüderle den Ministeriums-Mitarbeitern damals zugerufen, "jetzt bin ich da!" Allerdings galt er vielen im Oktober 2009 als eine Art FDP-Fossil, das nicht besonders gut zur windschnittigen Westerwelle-Truppe passte. Die politische Kaste Berlins hat Rainer Brüderle damals etwas herablassend behandelt, und in einigen Medien wurde bereits bei seinem Amtsantritt seine Halbwertszeit taxiert. Wenn sich die wirtschaftliche Krise weiter zuspitze, hieß es, werde einer wie Brüderle nach der Hälfte der Legislatur garantiert einem Jüngeren, sprich Tatkräftigeren weichen müssen.

Wie man sich doch irren kann. Brüderle hat zwar im Mai knurrend seinen Stuhl geräumt, um Philipp Rösler Platz zu machen, der als neuer Parteivorsitzender das wichtigste FDP-Ressort für sich forderte, aber die Übernahme des Bundestagsfraktionsvorsitzes hat Brüderle nicht geschadet. Im Gegenteil.

Heute ist der 66-Jährige der Fels in der Brandung, die die FDP fortzureißen droht. Die Jungen und die Smarten, die in der Partei monatelang den Ton angegeben haben, wirken überfordert und angeschlagen. Auch Philipp Rösler.

Wenn der ersetzt werden müsse, darin ist man sich parteiintern und -extern einig, werde alles auf Rainer Brüderle zulaufen. Irgendwie erinnert der Zustand der FDP an die Zeit, in der die New-Economy-Blase platzte und man in Deutschland froh war, noch nicht alle klassischen Industriezweige abgeschafft zu haben.

Tatsächlich scheint nicht ausgeschlossen, dass das vermeintliche Auslaufmodell Brüderle irgendwann die Liberalen retten muss.

Zwischen dem "Mister Mittelstand", wie der Diplom-Volkswirt aus der Pfalz daheim gern respektvoll genannt wird, und dem agilen Arzt aus Hannover liegen Welten. Dass Brüderle sich für asiatische Heilverfahren interessiert und Rösler seine Wurzeln in Vietnam hat, stellt jedenfalls noch keine tragfähige Verbindung her. Rainer Brüderle ist seit 30 Jahren Berufspolitiker, Philipp Rösler hat schon angekündigt, dass für ihn mit 45 Schluss sein wird mit der Politik. "Das steht für mich fest", hat er gesagt, denn Politik verändere die Menschen. Aus Röslers Sicht offenbar nicht zum Besseren.

Röslers Ankündigung wirkte modern, wie überhaupt der ganze Mann zeitgemäß daher kam: stets zugewandt und offen, gut gelaunt und witzig und zur Unabhängigkeit entschlossen. Ein Politiker, der sich selbst ein Zeitlimit setzte, um kein verbissener Sesselkleber zu werden. Wie démodé wirkte dagegen Rainer Brüderle - ein Mann, der zu Hause Weinköniginnen herzte! Ausgerechnet so einer kommt jetzt noch einmal groß heraus. In der FDP-Bundestagsfraktion sind sie heilfroh, dass es ihn gibt. Dass da einer bereit ist, erst zu grübeln, bevor er anfängt zu dübeln. In den langen Westerwelle-Jahren hatte sich die FDP diese altmodische Vorgehensweise nahezu komplett abgewöhnt. Benebelt von einem Wahlergebnis, das, wie alle Experten damals voraussagten, keinen Bestand haben konnte. Was in der Parteispitze keiner hören wollte.

Jetzt hat man den Salat. Jetzt geht es für die Liberalen ums Überleben. Dass mit Generalsekretär Christian Lindner gerade einer das sinkende Schiff verlassen hat, macht die Sache für den Rest der Crew nicht leichter. Zumal es Animositäten in der Parteiführung gibt.

Nach außen beteuern Rainer Brüderle und Philipp Rösler zwar immer wieder, dass sie sich bestens verstehen, aber natürlich hat Brüderle nicht vergessen, dass ihm Rösler vor sieben Monaten das Wirtschaftsministerium abgeknöpft hat. Das Amt, von dem Brüderle mehr versteht als alle anderen, denn schließlich hat er es in Rheinland-Pfalz jahrelang verwaltet. Dieser scheinbar so leutselige Mann hat nicht nur ein gutes Gedächtnis, sondern auch einen extrem langen Atem.