Juri ist zehn. Er weiß, was Gnade ist. Dass man geliebt wird, ohne etwas dafür tun zu müssen. Man muss nichts leisten, nicht besonders reich oder schön oder klug sein. Jeder ist liebenswert, einfach so. Gottes Liebe gibt es umsonst. Hoffentlich nicht nur seine!

Juri ging ein Licht auf am Reformationstag, als er mit seiner Klasse in der Kirche war. "Allein aus Gnade!" Martin Luther berührte sein Herz. Eigentlich ging Juri fast nie in die Kirche, aber jetzt macht er mit beim Krippenspiel.

Seit November wird Jesus jeden Mittwoch geboren. Maria und Josef machen sich auf den Weg nach Bethlehem. Die Wirte machen ein gutes Geschäft und haben für das Gotteskind keinen Platz. Der Engel kommt zu den Hirten, zu den armen Gesellen draußen vor der Tür: "Fürchtet Euch nicht!" Mehr als 40 Stadtteilkinder machen mit beim alten Spiel von Liebe und Gnade. Der Hit ist das Josef-Lied: "Jeden Weg, den wir ziehn, den zieht Gott mit, ja er hilft uns, und er gibt die Kraft, dass selbst der Schwächste seinen Weg auch schafft."

Bei "Samt und Seife", einer Näherei gar nicht so weit von unserer Kirche, werden wunderhübsche rote Chorhemden gefertigt für ein Weihnachtskonzert.

Es ist der letzte Auftrag für die 30 Näherinnen, die in diesem Beschäftigungsprojekt in Steilshoop gearbeitet haben. Ihre Ein-Euro-Jobs laufen zum Ende des Jahres aus. Seit 25 Jahren gibt es "Samt und Seife". Die Frauen arbeiten für rund 160 Euro im Monat. Aber mindestens so wichtig wie das Geld ist ihnen, dass sie einen Ort haben, an dem sie geschätzt werden, beliebt und angesehen sind. Von dieser inneren Kraft leben ganze Familien und Nachbarschaften. Jetzt ist Schluss. Die Räume sind gekündigt. Am 21. Dezember ist Ausverkauf. "Ich war hier zu Hause", sagt eine Frau. Einige wollen ehrenamtlich die Abwicklung begleiten. Sie haben sonst keinen Ort in der Arbeitswelt. Mir treibt es die Tränen in die Augen. Herrscht in der Politik der Spar- und Sachzwänge nur noch Gnadenlosigkeit? Was ist los in unserer reichen Stadt, dass es für Menschen, die arbeiten können und wollen, keinen Ort mehr gibt, an dem sie angesehen und beliebt sind und sinnvolle Aufgaben haben? Es gibt so unendlich viel zu tun. In einer gnadenlosen Welt möchte ich nicht leben.

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