Neustadt. Der Mann fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Unruhig rutscht er auf seinem Stuhl hin und her, als wäre er am liebsten unsichtbar oder zumindest ganz woanders. Jedenfalls nicht hier, nicht jetzt, in dieser Rolle als Zeuge in einem Gerichtsverfahren. Dabei hatte Aladdin R. eigentlich alles richtig gemacht: Als er zwei Verdächtige beobachtete, notierte er sich das Kennzeichen ihres Wagens und kontaktierte dann die Polizei. Mit seiner Hilfe konnten die beiden Männer ermittelt werden, die im Verdacht stehen, an einem Raub auf ein Juweliergeschäft beteiligt gewesen zu sein, bei dem Goldschmuck im Wert von rund 30 000 Euro erbeutet wurde. Doch das Motiv für den 20-jährigen Aladdin R., sich einzumischen und zu der Aufklärung des Verbrechens beizutragen, war offenbar nicht etwa das Pflichtgefühl eines wohlmeinenden Bürgers. Sondern vielmehr ein Sinn für eine mögliche Belohnung.

Den beiden Angeklagten drohen jetzt im Prozess vor dem Landgericht mehrjährige Haftstrafen. Laut Anklage soll Alen R., 37, im März den Überfall auf das Schmuckgeschäft, bei dem zwei noch unbekannte Mittäter den Inhaber mit einer Pistole bedrohten und etliche Goldketten stahlen, per Mobiltelefon koordiniert haben. Dem 35-jährigen Jasmin T. wirft die Staatsanwaltschaft vor, das Fluchtauto gefahren zu haben. Und so ruhen die nachdenklichen Blicke der beiden großen dunkelhaarigen Männer auf dem Zeugen, der mit seiner Aussage bei der Polizei den Fall ins Rollen gebracht hatte.

Aladdin R. aber windet sich. Mimt den Unwissenden, der seinerzeit auf dem Revier missverstanden worden sei. Er habe gesehen, wie damals im März in der Harburger City Männer in ein Auto gestiegen und weggefahren seien, sagt der 20-Jährige. "Ich habe die vorher laufen sehen und das Kennzeichen des Autos notiert." Er und ein Kumpel seien hinter dem Wagen hergefahren und hätten an einer Ampel zu dem Fahrzeug aufgeschlossen. "Wir haben gefragt, ob sie was gemacht haben; sie sagten Nein, dann sind wir wieder nach Hause." Doch laut Polizeiprotokoll hat sich die Szene sehr viel lebhafter abgespielt. "Das ist so eine schöne Geschichte, die merkt man sich doch", versucht der Vorsitzende Richter dem Zeugen auf die Sprünge zu helfen. "Haben Sie nicht noch was gefragt?" Laut Akten hatte der Zeuge nämlich seinerzeit sehr deutlich Interesse an einem Teil der Beute bekundet. "Ich habe sie laufen gesehen und wusste, dass sie was gemacht haben", hatte er demnach ausgesagt. "Einer hatte beim Weglaufen eine Tüte. Ich sagte dann, dass sie mir Gold abgeben sollen." Einer der Männer habe die Beute aus dem Juweliergeschäft auf dem Sitz liegen gehabt, zwischen den Beinen, hatte er noch präzisiert.

Er sei damals zwar von sich aus zur Polizei gegangen, räumt Aladdin R. jetzt ein. "Aber dann habe ich meine Meinung geändert." Er habe sich später überlegt, dass es besser sei, sich aus der Sache herauszuhalten. In den Akten findet sich auch das Motiv für den Sinneswandel des Zeugen. Damals bei der Polizei habe er schließlich gesagt, dass er nunmehr schweigen wolle, weil es für ihn keine Belohnung gebe. Zumindest in Bezug auf die Beteiligung des Angeklagten Jasmin T. an dem Raubüberfall hat der Zeuge ganz offensichtlich die Wahrheit gesagt. Er habe tatsächlich das Fluchtauto gefahren, hat der 35-Jährige schon zu Prozessbeginn eingeräumt. Und zudem den Mitangeklagten Alen R. als weiteren Täter benannt. Doch der bestreitet jede Beteiligung an dem Verbrechen. Er sei lediglich von zwei Männern angeworben worden, etwas zu transportieren, hatte der 37-Jährige im Prozess angegeben.

Doch Daten aus seinem Mobiltelefon bestätigen die Anklage. Dazu kommt die Aussage von Jasmin T., er sei von Alen R. als Fahrer angeworben worden. Auf die Angaben des Zeugen Aladdin R., der sich gewunden hat wie ein Aal, stützt sich das Gericht nicht mehr. Aber auch so steht nach Überzeugung der Kammer letztlich die Schuld der beiden Männer fest. Drei Jahre und zehn Monate Haft wegen Raubes verhängt das Gericht für Alen R., Jasmin T. wird zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren wegen Beihilfe verurteilt. R. ist nach Überzeugung der Kammer "der Hintermann, der die Fäden in der Hand hielt". Doch der 37-Jährige scheint nicht im Mindesten einverstanden mit dem Urteil und betonte: "Ich bin unschuldig." Um seine Glaubwürdigkeit zu untermauern, hatte er seine Religiosität angeführt. Immerhin sei er nach Mekka gepilgert. Sein Glaube verbiete ihm jede Form von Lüge.