Die Rating-Agenturen verspielen den letzten Kredit - und gehören an die Leine gelegt.

Man kann einiges anführen zur Verteidigung der Rating-Agentur Standard & Poor's, die nun gleich 15 Euro-Staaten und den Euro-Rettungsfonds auf einen Schlag abzuwerten droht. Es ist die Aufgabe dieser Institute, die Bonität von Unternehmen und Staaten zu bewerten: Nicht sie sind es, die die Schulden angehäuft haben, sie fällen nur ein Urteil. Und den Überbringer schlechter Nachrichten köpft man seit dem Mittelalter nicht mehr.

Vielleicht sollte man damit langsam wieder anfangen, denken so manche seit gestern. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass dieses Rating-Oligopol mit drei Agenturen nicht funktioniert - in der Nacht wurde er geliefert. Abgesehen von Griechenland und Zypern droht Standard& Poor's allen Euro-Staaten auf einen Schlag mit der Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit. Eigentlich sollen Rating-Agenturen Feuermelder sein, doch längst fungieren sie als Flammenwerfer. Zwar argumentiert Standard &Poor's mit der besorgniserregenden Entwicklung der Schuldenkrise in Europa - doch die wurde von den Rating-Agenturen mitbefeuert. Die erste Finanzkrise haben sie durch groteske Fehlbewertungen von Ramschanleihen mit ausgelöst. Die Staaten mussten löschen helfen, verschuldeten sich noch weiter und werden dafür nun bestraft.

Mit jeder Herabstufung, welche die Staaten trifft, steigen deren Zinsen. Mit steigenden Zinsen wiederum wird es immer schwieriger, Altschulden zu bedienen - ein Strudel, der nun nach Griechenland auch Italien und Spanien in die Tiefe reißen könnte. Die Urteile der Rating-Agenturen werden so zur self fulfilling prophecy , einer Vorhersage, die sich von selbst bewahrheitet. Die Wut der Politik ist verständlich. Im Gegensatz zu den Rating-Agenturen ist sie demokratisch legitimiert und muss die Interessen aller im Blick haben.

Immerhin drücken Angela Merkel und Nicolas Sarkozy aufs Reformtempo, Schuldenstaaten wie lrland, Italien oder Spanien haben tief greifende und schmerzhafte Schnitte beschlossen. Doch die Rating-Agenturen, die früher fahrlässig Persilscheine verteilt haben, haben Maß und Mitte verloren. Einmal mehr gießen sie Öl ins Feuer, pikanterweise kurz vor dem EU-Gipfel. Die vermeintlichen Schiedsrichter sind längst zum Akteur in einem finsteren Spiel geworden.

Die Euro-Turbulenzen haben schon viele Regierungen aus dem Amt gespült, sie erschüttern die Volkswirtschaften, lösen Unruhen aus, sie desintegrieren Europa. Zurückhaltung und Bedacht, Seriosität und Selbstkritik wären die Gebote der Stunde. Doch davon ist bei den Rating-Agenturen wenig zu spüren: Noch bevor der Rundumschlag gegen Europa offiziell verkündet wurde, hatte die Botschaft Börsenhändler und Zeitungsredaktionen bereits erreicht.

Nicht einmal die vorgeschriebene Verschwiegenheit können die Herren der Märkte gewährleisten: Wie schon bei der Herabstufung der USA wussten einige besser informierte Kreise vorher von dem Standard-&-Poor's-Schritt. Und vor einigen Wochen war angeblich ein Computerfehler für die marktbewegende Meldung verantwortlich, Frankreich verliere sein Spitzen-Rating.

Europas Politik hat neben der Aufgabe, die Schuldenkrise zu lösen, inzwischen die Pflicht, das Monopol der Rating-Agenturen zu brechen. Trotz aller berechtigten Kritik an der Schuldenpolitik der Staaten ist es schlichtweg nicht länger zu verantworten, dass einige kleine unregulierte Rating-Agenturen mit Regierungen, Währungen, ja ganzen Volkswirtschaften Schlitten fahren.

Auch die Marktakteure müssen sich vom Urteil der Rater emanzipieren. Immerhin gibt es Signale der Hoffnung. Ein "Schwarzer Dienstag" blieb aus, der Rückgang des Euro war moderat. Auch die Märkte nehmen Standard & Poor's nicht mehr so ernst. Vielleicht war es rückblickend betrachtet nur ein "Schwarzer Dienstag" für Rating-Agenturen.