Politologe sieht Politikerverdrossenheit als Ursache

Hamburg. 89 Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Bezirksebene hat es seit ihrer Einführung im Jahr 1998 in Hamburg bereits gegeben. Bei dieser Form der direkten Demokratie ist die erste Stufe ein Bürgerbegehren, für das mindestens drei Prozent der Wahlberechtigten eine Unterschrift leisten müssen (im bevölkerungsreichsten Wandsbek sind es zwei Prozent). Ist das Ziel erreicht, kann die zweite Stufe des Verfahrens, der Bürgerentscheid, beginnen. Wie bei einer Wahl wird dabei über eine konkrete Frage - beispielsweise ob auf einem Grundstück gebaut werden soll oder nicht - mit Ja oder Nein abgestimmt. Die einfache Mehrheit entscheidet. Eine Bezirksversammlung, die kommunale Vertretung in den Bezirken, kann vor einem Bürgerentscheid aber auch die Forderung eines Bürgerbegehrens übernehmen - oder einen Gegenvorschlag zur Abstimmung stellen. Möglich ist aber auch, dass der Senat die Entscheidungsgewalt dem Bezirk einfach entzieht. Dann laufen Bürgerbegehren ins Leere und können nicht mehr umgesetzt werden. Bei dem Bürgerbegehren gegen die Schließung des Bismarck-Bades war es beispielsweise so. Das Bad wurde trotz erfolgreichen Begehrens abgerissen.

Oder es gibt die Form der Scheinübernahme durch eine Bezirksversammlung: Die Forderung der Bürger bleibt dann dennoch wirkungslos, weil wie etwa im Fall der Schließung einer Bücherhalle in Iserbrook der Bezirk in vielen Dingen gar nicht zuständig ist, sondern die Fachbehörden.

Trotz solcher Tricks machen die Hamburger von dem Instrument Bürgerbegehren rege Gebrauch, wenn auch sehr unterschiedlich. So fällt auf, dass sich die Streitpunkte vor allem in Wandsbek und Altona häufen. Während der Bezirk Mitte auffallend ruhig zu sein scheint - nur die Menschen auf Finkenwerder haben dort einmal ein erfolgreiches Bürgerbegehren gegen eine Gebietsreform gestartet, die sie in die Zuständigkeit der Bezirks Harburg verschlagen sollte.

In Wandsbek sind es vor allem die Walddörfer, wo viele Bürgerbegehren starten. Dort lebe eben eine sehr agile Bevölkerung, die sich für ihre Interessen einsetzt, heißt es bei dem Verein Mehr Demokratie. Allerdings werde von Verwaltung und Bezirkspolitik "vorbildlich" damit umgegangen, sodass es oft zu Kompromissen komme. In anderen Bezirken wie Altona oder Eimsbüttel gibt es nach Einschätzung des Vereins indes einfach mehr Misstrauen zwischen Bevölkerung und Verwaltung. Der Politikprofessor Wolfgang Gessenharter sieht in der Häufung der Begehren in Altona und in Eimsbüttel indes eher das Phänomen, dass es dort eine politisch sehr aktive Bevölkerung gebe. Die geringere Zahl von Bürgerbegehren in anderen Teilen der Stadt habe etwas damit zu tun, dass die Menschen sich dort vielfach von politischen Geschehen abwenden würden. Viele Bürgerbegehren in einem Stadtteil, sagt Gessenharter, sind eben kein Ausdruck von Politikverdrossenheit - sondern von Politikerverdrossenheit.