Erst vier Wochen ist es her. Ich unterhielt mich mit einem Nachbarn auf der Straße, als er den Finger hob: "Hörst du das auch? " Aus hoher Ferne ertönten heisere Schreie, und dann sahen wir einen majestätischen Zug von Kranichen, laut rufend auf ihrem Weg in die Sonne. Ich dachte an das Lied "Wildgänse rauschen durch die Nacht" und an Nils Holgerssons wunderbare Reise, spürte Fernweh und Sehnsucht nach Wärme, Licht und weitem Horizont. Mich faszinierte die zielstrebige Orientierung der Zugvögel, während wir Menschen oft so ziel- und ratlos sind. Manfred Hausmann beschrieb das in einem Gedicht:

Die Schneegans

im Wolkendampf

mit ruhigem Gesang

kennt ihren Weg

aber der Mensch

weiß nicht, wohin.

Heute klagen viele über die nasskalten, dunklen Tage. Die strahlenden Lichter und klingenden Melodien am Neuen Wall und anderswo geben ja keine bleibende Antwort auf unsere Sehnsucht. Es muss doch noch etwas anderes, Helleres geben für die Orientierung unserer Gesellschaft, eine Hoffnung, einen Sinn. Ich freue mich jeden Tag über einen kleinen leuchtenden Stern, den ich letzte Woche in unseren dunklen Hausflur hängte. Er erinnert mich an den Stern von Bethlehem, der die Weisen vor 2000 Jahren zum Jesuskind führte. Der erwachsene Jesus gab uns ja in dem, was er vorlebte und was er über Gott und Nächstenliebe sagte, eine klare Ausrichtung und ein Ziel. Wenn wir uns darauf einlassen, wird unsere Sehnsucht verwandelt in eine begründete Hoffnung. Dann wächst die Gewissheit, angenommen zu sein und einmal wirklich nach Hause zu kommen. Das kann uns, wie Generationen von Christen vor uns, Halt und Orientierung geben. Rund 700 Jahre vor dem ersten Christfest sagte der Prophet Jesaja: "Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und über denen, die da wohnen im dunklen Lande, scheint es hell. Denn uns ist ein Kind geboren ..." Auf diesen weihnachtlichen Neuanfang gehen wir zu, durch alle Dunkelheiten.

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