Sie hat sich als “Blümchen“ endgültig verabschiedet und auf der Theaterbühne etabliert. Zurzeit spielt und singt sie die Legende Alexandra.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für diese Stadt leisten, die in Hamburg als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der 16. Folge vor einer Woche: HSV-Fußballprofi Mladen Petric

Die schlanke Vase mit der rosafarbenen Tulpe stellt Jasmin Wagner erst einmal schwungvoll zur Seite. Die müsse nicht mit aufs Foto. Wagner kann jetzt auch ohne Blümchen. Will und muss sich von ihrem alten Ich emanzipieren. Denn die Zeiten, in denen die Hamburgerin als Teenie-Sängerin Blümchen durch die Welt tourte, Jugendliche und Charts eroberte, sie sind vorbei.

Sie ist nun 31 Jahre alt und dabei, sich auf einer anderen Bühne ihres Lebens zu etablieren. Als Schauspielerin, auch als ernsthafte Sängerin. Das sagt sich immer so leicht. In diesem Fall meint "ernsthaft" den Gegensatz zu flirrender Technomusik mit Texten, die sich unaufhörlich wiederholen.

Gerade feierte Jasmin Wagner in Berlin im Schlosspark Theaterpremiere mit dem Stück "Alexandra - Glück und Verhängnis eines Stars". Sie gibt dort noch bis April fünf- bis siebenmal pro Monat die Titelrolle der Alexandra. Sie spielt die Folk- und Schlagersängerin und Komponistin, die in den 60er-Jahren als junge Frau mit ihrer melancholischen Stimme große Erfolge feierte. Manager Hans R. Beierlein hatte Alexandra, obwohl unangepasst und innerlich zerrissen, zum Star aufgebaut. 1969 verunglückte die Künstlerin bei einem Autounfall tödlich. Als Vermächtnis geblieben sind von der Frau mit dem Bubikopf Lieder wie die Umwelthymne "Mein Freund, der Baum" oder "Zigeunerjunge".

Jasmin Wagner nun schlüpft in ihre Rolle und wagt sich damit an die Songs einer Legende. Auf der Bühne trägt auch sie ein breites Stirnband, bunte Blusen, hat dunkel umrandete Augen und lernte sogar Gitarre zu spielen. Ihre braunen Locken, lange Zeit eines ihrer Markenzeichen, ließ sie um 30 Zentimeter kürzen. Der Friseurbesuch bedeutete für Wagner auch im Privaten einen Neubeginn. "Es war, als hätte ich etwas verspätet meine komplette letzte Beziehung abgeschnitten", sagt sie und spielt auf die Trennung nach vier Jahren von ihrem Lebensgefährten, einem Unternehmersohn Clemens Wirschke, im vergangenen November an. Ohne dabei zu viel preiszugeben. Wagner ist Medienprofi, und so verwebt sie geschickt Persönliches mit den Vorbereitungen auf eine neue Rolle und generiert Aufmerksamkeit für ihr aktuelles künstlerisches Projekt. Sie weiß, was von ihr erwartet wird, und gibt sich professionell, unaufgeregt und freundlich. Dabei tabuisiert sie ihre Vergangenheit als Blümchen keineswegs. "Manchmal braucht man eine äußere Veränderung, um eine innere zu zeigen", sagt sie. Oder auch, dass "es den Leuten ganz gut getan hat, ihr Bild von mir überdenken zu müssen."

Denn tatsächlich gibt es Jasmin Wagner als Blümchen schon seit 2001 nicht mehr. "Ich konnte schlicht nicht mehr Blümchen sein. Ich kann das Lebensgefühl, was ich hatte und verkörpert habe, ja nicht konservieren", meint sie. Schon oft schon hat sie solche Sätze in Interviews gesagt. Aber weil sie eben Vollprofi ist, klingen sie nicht ausgeleiert.

Sie habe entdeckt, dass sie gern Theater spiele, trat bereits 2008 in dem gefeierten Stück "Männerbeschaffungsmaßnahmen" an den Hamburger Kammerspielen auf und spielte als Charlotte in "Robin Hood" am Altonaer Theater.

Während des Gesprächs im Caffè Latte an der Wohlwillstraße auf St. Pauli löffelt Jasmin Wagner eine Suppe. Und es gelingt ihr sogar, kein bisschen ihres Lippenstifts zu verwischen. Überhaupt, wenn man einen Makel an ihr finden wollte, so wäre es ihre Perfektion. Das freundliche Lachen, die vollkommene Aussprache, das passende Outfit. Jasmin Wagner ist immer präsent. Auch die Straßen von St. Pauli sind für sie voller Publikum. Denn sie wird erkannt. Weil sie Blümchen war.

Dabei ist sie dieser Zeit schon längst entwachsen und befindet sich gerade auf halber Strecke zu einer neuen Jasmin Wagner: Das oberflächliche Blümchen ist weggeschoben wie die Vase auf dem Cafétisch. Und die neue, ernst zu nehmende, nachdenklichere Künstlerin mit einer Theaterlaufbahn macht große Schritte auf ihrem Weg der Emanzipation von ihrem früheren Image.

In diesem Gespräch zeigt sie beide Seiten. Wenn sie von früher erzählt, bleibt ihr Blick manchmal länger nachdenklich gesenkt, sie überlegt, macht Pausen, ehe sie die Antwort formuliert. Als ob sie sie nicht schon x-mal gegeben hätte. "Mir ist das alles passiert. Da war ich gerade 15 Jahre alt. Ich habe da noch nicht richtig begriffen, was es bedeutet, in den Charts zu sein und Autogramme zu geben", sagt Wagner. "Bei meinen Konzerten habe ich mich eher wie die Gewinnerin eines Backstage-Passes gefühlt und nicht wie die Kollegin der Backstreet Boys." Und in ihren Schilderungen scheint noch einmal die junge Jasmin Wagner auf: eine Schülerin, die nach der Schule ihre Nachmittage mit Freundinnen verbringt und als Cheerleaderin bei Spielen des Football-Teams Blue Devils einheizt. Einheizen, eigentlich ein furchtbares Wort. Das aber den Kern trifft.

Denn sie heizte plötzlich Zehntausenden ein. Als Blümchen. Alles begann 1995 mit dem Lied "Herz an Herz". Ein Hit, der auf Platz 4 der deutschen Charts kletterte. Schnell folgten Dancepop-Songs mit eingängigen Zeilen à la "Kleiner Stern, ich habe dich gern" oder "Wie ein Boom Boom Boomerang komm ich immer wieder bei dir an". In den dazugehörigen Musikvideos, die Sender wie Viva unermüdlich rauf- und runterlaufen ließen, sauste der Teenager Jasmin Wagner auf Inlineskates über die Strandpromenade von Miami Beach oder tobte in den Wellen für die Kameras. Dazu kamen Konzerttourneen, Promotion-Reisen nach Asien. Insgesamt brachte sie vier Studioalben heraus und verkaufte weltweit mehr als drei Millionen Platten, gewann zweimal den Musikpreis Echo. Dazu moderierte die Heranwachsende unter anderem die "Mini Playback Show" sowie die "Disney Filmparade".

Wagner ist damit die erfolgreichste deutsche Sängerin der 90er-Jahre. "Das war auch anstrengend", sagt sie, "vor allem, weil immer alles lange im Voraus verplant ist." Sie habe zu Beginn halt gedacht, dass sie Musik mache, anstatt für ein Austauschjahr nach Amerika zu gehen, wie es Klassenkameraden taten.

Doch sie wurde zu ihrem eigenen Produkt, das schwerlich über sich selbst bestimmen konnte. "Es ist in dem Alter schwer zu ertragen, wenn eine Riege von Verlagsmenschen und Plattenleuten über die zwei pummeligen Teenagerpfunde reden, die man zu viel auf den Hüften hat. Das verletzt."

Doch neben den Millionen-Einnahmen hatte für Jasmin Wagner ihre frühe Zeit als reisende Künstlerin auch noch einen weiteren positiven Aspekt: "Der Beziehung zu meiner Mutter hat das ganz gut getan, denn eigentlich wurde meine Pubertät ausgesourced. Ich war ja viel unterwegs, und kleine Zickereien hat eher meine Managerin abgekriegt", sagt sie. Zu ihrer Mutter, einer temperamentvollen Kroatin, hat sie ein inniges Verhältnis. "Sie ist unglaublich wichtig für mich und hat mich auch nach Konzerten auf den Boden zurückgeholt, indem sie mich mein Zimmer aufräumen schickte."

2001 beendete Wagner offiziell ihre Karriere. Naiv nennt sie sich selbst, weil sie glaubte, "wenn ich aufhöre, Blümchen zu sein, gibt es kein öffentliches Interesse mehr an mir". Sie entschloss sich zu einer Art Flucht, reiste als Backpackerin durch Indonesien und besuchte ein Jahr lang Schauspielkurse in den USA. Seit sie wieder in Deutschland lebt, pendelt sie zwischen ihrer Heimat Hamburg und der Hauptstadt Berlin.

"Ich habe akzeptiert, dass alles eben so war", sagt sie. Sie spüre, dass die Menschen sie respektieren. "Ich glaube, meine Musik ist für viele positiv besetzt, weil es sie an die eigene Jugend erinnert", sagt sie. Und hat es selbst erfahren, als sie mit Freunden eine Party besuchte, auf der dann auch ihr Lied "Boomerang" gespielt wurde. "Ich habe dann einfach mitgemacht. Wie die anderen den Arm gehoben, die Hand zur Faust geballt und eben diese Bewegung gemacht, die ich damals immer gemacht habe." Sie lacht herzlich und wirkt glücklich. Ausgesöhnt mit Blümchen und im Reinen mit sich selbst.

Jasmin Wagner gibt den roten Faden an Vural Öger weiter: "Er ist einer der spannendsten Unternehmer Hamburgs. Ich finde sein Lebenswerk beeindruckend, und wir teilen ein Faible für Granatäpfel."