Die neue Abendblatt-Serie zeigte die Lehre vom Schlechtreden - und warum Platt bei jungen Leuten neuerdings wieder angesagt ist.

Hamburg. Mit "Schiet di wat! 2012" ist dem Abendblatt der erste norddeutsche Schimpfkalender op Platt gelungen. Klei mi an 'n Mors, tut das not? - Ja, denn Schimpfen ist ein nicht zu unterschätzender Bestandteil der Kommunikation. So auch im angeblich sprachfaulen Norden. Lesen Sie heute im ersten Teil der dreiteiligen "Schiet di wat!"-Serie, warum Schimpfen und Fluchen op Platt so angesagt ist.

"Baschkopp!" - "Döösbartel!" - "De Kötelkacker will för 'n Penn freten un för 'n Daler schieten!" Das Niederdeutsche mit seinen rund 4000 verschiedenen Dialekten, die sich häufig von Dorf zu Dorf unterscheiden, ist stark im Kommen. Plattdeutsche Lesungen, plattdeutsches Theater und nicht zuletzt die überregionalen Galionsfiguren des niederdeutschen Kabaretts und Liedguts, Ina Müller oder das Rapper-Trio Fettes Brot ("Nordisch by Nature"), besitzen längst Kultstatus. Auch die Jugend - im Besonderen die sogenannten "unzivilisierten Landeier" - hat das Plattdeutsche in jüngster Zeit wieder für sich entdeckt und demonstriert neues Selbstbewusstsein.

Mit dem radikalen Schreibsprachenwechsel im 16. und 17. Jahrhundert hatte sich die Meinung verbreitet, dass in Deutschland nur noch die hochdeutsche Standardsprache gesprochen werden sollte. Ein Volk, viele Staaten zwar - aber nur eine Sprache, die jeder verstehen konnte. Erst waren es nur die oberen Schichten, im Laufe der Jahrzehnte sprachen dann jedoch auch immer mehr der "kleinen Leute" hochdeutsch.

Das heimische Niederdeutsch galt als minderwertig und wurde praktisch nur noch in der Familie, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis genutzt. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann man, "das Volk" und seine eigentliche Sprache und Kultur neu zu entdecken. Die Einstellung zum Niederdeutschen änderte sich erneut. Erst einzelne, dann ganze Heimat- und Sprachvereine sahen darin plötzlich wieder einen besonderen Wert und sorgten langsam, aber stetig für den neuerlichen Aufstieg des Plattdeutschen zur Kultursprache.

Zählt man die neuen Bundesländer mit, liegt die Anzahl der Plattschnacker aktuell bei ungefähr zehn Millionen Menschen, wobei nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahre 2007 jedoch nur rund 2,6 Millionen Menschen sehr gutes Plattdeutsch sprechen und schreiben können. Doch es tut sich was: Hamburg spielte dabei eine Vorreiterrolle und erkannte als erstes Bundesland Plattdeutsch als vollwertiges Unterrichtsfach an.

Die SchülerInnen sollen "grundlegende Kompetenzen in der Regionalsprache erwerben und Aufgeschlossenheit im Umgang mit ihnen nicht oder wenig bekannten Elementen der eigenen Kultur entwickeln." Darüber hinaus haben Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern ihre Landesverfassungen ins Plattdeutsche übersetzen lassen, und Schleswig-Holstein hat dem Niederdeutschen "Schutz und Förderung in der Verfassung" zuerkannt.

Etwa fünf Prozent aller Unterhaltungen am Arbeitsplatz (und zehn Prozent aller Gespräche in der Freizeit) beinhalten Fluchen und Schimpfen. Auf irgendwen und irgendwas, doch wer hätte gedacht, dass mit "Kniepoors" - wörtlich "Kneifarsch" - eine miserable Köchin bezeichnet wird, bei der es "in 'n Kookputt utsüht as Swienschiet mit Dill." Und dass ein "Restensuper" ein nachtschwärmender Schmarotzer ist, der anderen Gästen in den Kneipen die halb vollen Gläser leert.

Gerade das Plattdeutsche gilt als "warme Sprache", die in gewisser Weise sogar dann charmant klingt, wenn Wörter und ganze Sätze derbe werden. "Rasselmoors" beispielsweise steht unter anderem für "Schlampe". Was, bitteschön, hört sich zweifellos netter an?

Willkommen im geheimnisvollen Reich der "Malediktologie" (lateinisch "der Lehre vom Schlechtreden"), einer noch recht jungen, aber eminent wichtigen Sprachwissenschaft. "Kaum ein anderer Ausschnitt unseres Wortschatzes wird mit so viel schöpferischer Kraft und Fantasie weiterentwickelt wie die Abteilung Schelte, Schimpf und Schande", sagt Peter Nissen, gebürtiger Nordfriese, der seit Mitte der 90er-Jahre mit seinem Partner Hartmut Cyriacks eine Textmanufaktur für Theater, Funk und Fernsehen betreibt, deren Schwerpunkt auf dem Niederdeutschen liegt. "Allen Leegsnackern zum Trotz haben wir es beim Plattdeutschen ja nicht mit Latein oder Gotisch zu tun, sondern mit einer gesprochenen, sich stets wandelnden Sprache."

Dass der Mensch mit einer einzigen Sprache nämlich nicht auskommt, ist eine über Jahrhunderte gewachsene Erkenntnis der Bewohner Norddeutschlands. Doch schon längst muss man hier nicht mehr auf Biegen oder Brechen Hochdeutsch reden, sondern man darf wählen, in welcher Sprache man sich verständlich machen will.

Lesen Sie morgen in Teil 2: Schimpfen erleichtert das Herz, doch es beginnt im Gehirn. Und: Andere Länder, andere Flüche.

"Schiet di wat! 2012" der norddeutsche Schimpfkalender des Abendblatts, ist für 17,95 Euro überall erhältlich, wo es Bücher gibt. Bestellen Sie ihn versandkostenfrei unter Tel. 34 72 65 66 oder E-Mail: shop@abendblatt.de