Vor 30 Jahren kämpfte das Abendblatt mit mit vielen Bürgern gegen die Umgestaltung des Rathausmarktes - der viel schöner wurde als zuvor.

Altstadt. Der Kammersänger, der wohl nicht zufällig wegen seines Namens Moll ausgewählt wurde, konnte ein Lied davon singen. Ein politisch Lied, ein garstig Lied. Für die Einweihung des umgebauten Rathausmarktes am 11. Mai 1982 war Kurt Moll auserwählt, das Festprogramm mit Arien zu bereichern. Er tat es süffisant: Aus dem "Wildschütz" kamen ihm nicht "5000 Taler", sondern gleich "40 Millionen" über die Lippen, und eine Textstelle aus "Zar und Zimmermann" - "Ich möchte rasen" - wandelte er beim Blick auf die 83 000 frisch verlegten Granitplatten ebenfalls ab: "Wo ist der Rasen?"

Diese Platten waren Jahre zuvor die Steine des Anstoßes. Der Sozialdemokrat Hans-Ulrich Klose, von 1974 bis 1981 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt, hatte sich für einen Platz vor dem Rathaus eingesetzt, der dieser Stadt würdig sei, die Bürger und die Touristen einlädt zu verweilen. Der mit Kleiner Alster und Alsterarkaden ein städtebauliches Gesamtwerk ergibt, wie es die großen Architekten Semper und de Chateauneuf gewollt hätten.

Der Rathausmarkt sollte sein Grau verlieren und nicht mehr Knotenpunkt für Verkehrsströme sein, als der der Platz seit den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts diente. Einst kurvte die Straßenbahn herum, es störten die vielen Autos. Vier ovale Kioske passten allenfalls zu der Silbe Markt hinter dem Wort Rathaus, dem 15 000 Quadratmeter großen Platz nähmen sie, stöhnten Zeitgenossen, den Charme. Der Platz, wie er 1903 gestaltet wurde, mit einer Reiterstatue Kaiser Wilhelms I., Gesicht zum Rathaus gewandt, weil Hamburg ja eine freie Stadt war und mit Kaisers nicht so viel am Hut hatte, hatte sein Flair verloren. Der Verkehr war platzgreifend und hatte den Rathausmarkt zu dem gemacht, was er nun war.

Eigentlich hätte Bürgermeister Klose mit seiner Idee Mitte der 70er-Jahre sprichwörtlich offene Türen einrennen müssen, zumal vor seiner Amtszeit immer wieder diskutiert wurde, die Fläche zu verschönern, die "leere Steinwüste" mit Leben zu erfüllen. Doch dann setzte ein Schlagabtausch ein, wie er erst beim Bau der Elbphilharmonie übertroffen werden sollte.

"Viel zu teuer", monierte die CDU in der Opposition. Bei den veranschlagten 38,5 Millionen Mark werde es nicht bleiben. Schnell machten Schätzungen von 50 Millionen, ach was, 100 Millionen die Runde. Und der Stadt gehe es nun wahrlich nicht gut, Schulden belasteten den Haushalt. Und wer zahlt die Zinsen für den "Pomp auf Pump"? Und was könnte man sich nicht alles leisten, wenn alles beim Alten bliebe, Sozialwohnungen zum Beispiel? "Kloses roter Platz zieht jeder Familie 200 Mark aus der Tasche", tönte die FDP.

Deren Parteichef Klaus Brunnstein kündigte an, er werde zur Eröffnung des neuen Rathausmarktes nur erscheinen, wenn dort auch ein Denkmal für Heinrich Heine enthüllt werde. "Die Rückbesinnung auf diesen großen Sohn unserer Stadt lässt hoffen, dass neben der Prunksucht einer SPD-Alleinregierung auch noch andere Werte ein Rolle spielen." Professor Brunnstein bekam "sein" Denkmal, das heißt, Hamburg bekam eines. Es steht an der Südseite, Heine in nachdenklicher Pose, mit kritischem Blick auf die Politiker im Rathaus. Der Dichter hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Hamburg, "wo mich die abscheulichsten Gefühle martern und wo ich mich dennoch hinwünsche".

Das Hamburger Abendblatt bezog damals eindeutig Position: Es stand auf der Seite der Gegner des Umbaus, die genüsslich zitiert wurden.

Die CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Ursula Kadereit "fand nämlich jetzt allerlei Merkwürdiges heraus", schreibt das Abendblatt am 11.11.1980. War bis dato nur bekannt, dass der Granit in Westschweden "der Erde entrissen" werden solle - insgesamt 10 000 Tonnen für 4,4 Millionen Mark -, so habe Frau Kadereit nun von einem russischen Kapitän erfahren, dass "Hamburgs künftige Rathausmarkt-Zierde" eine weite Schiffsreise vor sich habe. Über Dänemark sollen die Granitblöcke nach Italien schippern, um dort "von kundiger Hand" zersägt zu werden, wobei "Italiens Arbeiter zu kümmerlichen Löhnen sägen". Das Abendblatt merkt an: "Reist Hamburg auf die billige Tour? Gar unter sowjetischer Flagge?"

Als Kloses Pläne ruchbar wurden, war von einem roten Platz wie in Moskau die Rede. Später stellte sich heraus, dass der neue Rathausmarkt "zu Füßen des Bürgermeisters" nun doch "ein vorwiegend grauer Platz mit rötlichen Sprengseln" werde.

An den Architekten wurde kein gutes Haar gelassen. Das "Treibhaus"-Gerippe solle eine gläserne Kiosk-Arkade ergeben, denn "weder Tomatenzucht noch Erdbeerbeete" seien vorgesehen. Rollstuhlfahrer könnten den Platz wegen der Hindernisse nicht erreichen, beklagten Bürger - zu einem Zeitpunkt, als noch gar nicht klar war, wie der Rathausmarkt am Ende aussehen werde.

"Wir sollten jetzt den Streit begraben - dieser Platz spricht für sich." Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, Nachfolger von Hans-Ulrich Klose, sagte dies bei der Eröffnung an jenem Tag im Mai 1982 vor 15 000 Menschen. "Möge der neue Rathausmarkt immer ein Platz des Friedens in unserer Stadt sein." Von Dohnanyi erinnerte daran, dass man um 1900 mit dem Geld, das das Rathaus gekostet habe, auch Straßen und Siele hätte bauen können. "Wer so denkt", sagte der Bürgermeister, "kann sich aber kein Museum, keine Grünanlage und kein Orchester mehr leisten."

Die erste Kalkulation von 38,5 Millionen Mark wurde übrigens eingehalten. Unter den geladenen Gästen fehlte dennoch einer. Der Mann, der den Stein ins Rollen brachte: Hans-Ulrich Klose.