Altkanzler Helmut Schmidt zeigt, wie er in Langenhorn wohnt. Ein exklusiver Besuch im wohl berühmtesten Doppelhaus Deutschlands.

Gekrönte und ungekrönte Regenten kamen in den Neubergerweg nach Langenhorn, um in der bürgerlichen Idylle des schmidtschen Domizils vertrauliche Gespräche zu führen. Doch wie sieht es hinter den Kulissen des berühmtesten Doppelhauses Deutschlands aus? Helmut Schmidt bittet herein.

Das Gebäude hat sich von der kleinen Doppelhaushälfte für 128 000 Mark aus dem Jahr 1961 zu einem schnuckeligen Heim gewandelt. Niemals handelte es sich um ein Reihenhäuschen, wie bis zum heutigen Tage immer wieder geschrieben wird. Kompletter Quatsch, würde der Hausherr sagen.

Das Doppelhaus befindet sich nur in einer Reihenhaussiedlung, die in Wirtschaftswunderzeiten von der Neuen Heimat und der Schiffszimmerer-Genossenschaft errichtet wurde. Nach dem Krieg grasten dort noch Kühe.

Anfangs gab es noch nicht einmal eine richtige Straße. Später steckten die Schmidts selbst eine Menge hinein: 1974 rund 280 000 Mark für Anbauten, ein Schwimmbad und Garagen. 1978 wurden noch einmal 145 000 Mark investiert. Hinzu kamen etwa 600 000 Mark vom Staat, um das Kanzlerheim mit schusssicheren Scheiben und Sicherheitstechnik auszurüsten. Schließlich bestand zur Kanzlerzeit akute Terrorgefahr.

Auch heute noch ist neben den vier braunen Garagentoren ein Aufenthaltsraum für die Polizei untergebracht. Wobei Schmidt schon als Kanzler darauf bestand, Männer seines Vertrauens als Leibwächter an der Seite zu haben. Waschechte Norddeutsche wie Waldemar Guttmann und Ernst-Otto "Otti" Hoyer, der später auch anderweitig zum Einsatz kam: nicht mit einem Revolver, sondern mit einem Shaker in der Hand - als Barkeeper im Hause Schmidt.

Zurück in die Gegenwart. Der Sicherheitsmann vergleicht den Personalausweis mit dem Namen auf einer Liste und winkt freundlich durch. Zwei Meter sind es bis zum nächsten Zaun. "Schmidt" steht über der Klingel. Also Knopf drücken, wie bei anderen Leuten auch. In der Haustür des Doppelhauses erscheint eine ältere, freundliche Dame mit Strickpulli. "Herr Schmidt wartet schon", sagt sie und bittet hinein.

Durch diese Haustür sind sie also gegangen, die Großen dieser Welt, von Breschnew über Kissinger bis zu Giscard. Einmal kurz Luft holen. Im Flur hängen Bilder, hinten links ist ein schwarz lackierter Flügel zu sehen. Perserteppiche. Glasvitrinen mit Kleinkram. Gemütlich wirkt es. Durch den Flur und das Wohnzimmer führt die freundliche Dame zu einer kleinen Treppe, die mit einem Fahrlift ausgestattet ist. Die Tür des Zimmers im Zwischengeschoss steht offen. Der Hausherr sitzt im Trainingsanzug am Schreibtisch und blickt entgegenkommend. "Moin, Herr Schmidt!" Jede andere Anrede hat er sich verbeten. "Moin!", murmelt der Altkanzler. Auf einem kleinen Beistelltisch mit Glasplatte stehen zwei Teetassen, Zucker, Milch, eine Thermoskanne, ein Porzellanschälchen mit Keksen, eine große weiße Kerze. Und ein Aschenbecher. Natürlich.

"Nehmen Sie Platz, junger Mann", sagt Helmut Schmidt. Offensichtlich ist in seinem Alter jeder ein junger Mann.

Abendblatt-Fotograf Stephan Wallocha erhält die Erlaubnis, sich in Haus und Garten frei zu bewegen. Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder! "Altersmilde", nennt Schmidt dieses außerordentliche Entgegenkommen auf Nachfrage.

Während der Gastgeber mit seinem Rollstuhl um die Schreibtischkante rangiert und dabei leise vor sich hin flucht, schweift ein erster Blick durch das Arbeitszimmer. Die Einbauschränke sind randvoll mit Büchern und Kleinkram gefüllt - Schätze aus aller Welt. Auf der Fensterbank stehen ein Globus und ein Farbfoto seiner Tochter Susanne. Auf dem Schreibtisch eine Uhr, mehrere Zinnbecher mit Stiften, Brieföffnern, Scheren, daneben eine große Lupe.

Wie alles andere auch ist das Telefon nicht jüngsten Baujahres. Handy, Computer? "So etwas kommt mir nicht ins Haus", sagt er. Schmidt hievt sich vom Rollstuhl in den braunen Rattansessel. Irgendwie mag man gar nicht so recht hinsehen. Andererseits tut es der Würde keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil.

"Wenn ihr erst mal 93 werdet, geht's euch auch nicht besser", knurrt er. Wenn's später so ginge, wär's schon gut, denkt der Autor. Der Hausherr bittet um etwas Tee "mit ordentlich Milch", süßt ihn. Dann öffnet er die Silberschatulle. Prall gefüllt ist sie mit akkurat gestapelten, leichten Menthol-Zigaretten der Marke Reyno White und mit hellblauen Plastikdöschen voller Schnupftabak der Marke Gletscherprise. Feuer frei. Für beide Seiten.

Eine Bitte habe er, sagt Schmidt: Keine Zitate. Geht klar, Ehrensache. Unkompliziert geht es um Gott und die Welt. Um sein neuestes Buch "Zug um Zug", um seinen Widerwillen gegen jegliche Art von Autobiografie oder Publizität, um Hamburg, um damals und heute. Er erzählt von vergangenen Tagen mit Loki, von gemeinsamen Erlebnissen an der Lichtwarkschule, vom Lehrer Jens Börnsen, der beider Sinn für die schönen Künste erweckte.

Dann fragt er nach der Recherche für das Buch "Ein Leben".

Alle hegten schöne Erinnerungen und liebevolle Gedanken an seine verstorbene Frau, sagt der Gast und Buchautor. Das mache Loki auch nicht lebendiger, sagt Schmidt leise und stößt eine gewaltige Rauchwolke aus. Noch etwas Tee, bitte schön.

Schmidt drückt die Kippe aus, nestelt nach der nächsten Zigarette. Schweigen. Dann deutet er auf einen goldfarbenen Kasten im zweiten Regalfach von unten. Die Uhr ist ein Geschenk des verstorbenen Industriellen und Mäzens Kurt Körber. Das gute Stück sei "ewig alt" und gehe immer noch auf die Sekunde pünktlich. Ein kleines Wunderwerk aus Genf. Arbeitet mit einem gasgefüllten Metallzylinder. Schmidt ist ganz begeistert und erläutert die Mechanik.

Der Gast versteht nur Bahnhof und ist um eine halbwegs schlaue Miene bemüht. Noch ein bisschen Klönen und Paffen, dann sind gut eineinhalb Stunden vergangen. "Seht euch ruhig um", bietet er an, reicht die Hand und sagt: "Tschüs!"

Das gab es noch nie!

Vom Zwischengeschoss geht es ein paar Stufen hinunter ins Wohnzimmer. An den Wänden hängen jede Menge Bilder, die meisten aus Öl. Sonnenblumen, Schiffe, das Teufelsmoor. Werke von Otto Modersohn sind zu sehen, ebenso von Paula Modersohn-Becker. Sie sind einträchtig vereint mit Hamburger Malern wie Paul Kayser oder Hugo Schmidt.

In die weißen Wände eingelassen sind Vitrinen mit gläsernen Schiebetüren, dahinter Steine, Muscheln, kleine Figuren und Skulpturen. Lokis Mitbringsel aus aller Herren Länder. Überall liegen Perserteppiche, und die Dachflächen sind mit Holz verkleidet. Die Schrägen machen die Räume gemütlich. Auf einem Tisch liegen Notenhefte. Manchmal setzt sich Helmut Schmidt an den Flügel und improvisiert nach Lust und Laune. Hören kann er das Resultat zwar nicht, aber das Klavierspiel dient dem inneren Frieden.

Im Kontrast zur weißen Wand auf der linken Seite steht die rot geklinkerte nebenan. Eingelassen ist ein breiter Kamin. Vor den Bücherregalen stehen zwei mit Intarsien verzierte Holzsessel. Der Schriftzug "Loki Schmidt" ist in die eine Lehne eingearbeitet, "Helmut Schmidt" in die andere. Beide eint das Datum: 23.12.1983, der 65. Geburtstag des Hausherrn. Gemütlicher wirkt die braune Couchgarnitur in einer anderen Ecke. Diese Ledersofas und Sessel sind weltberühmt. Wann Loki und Helmut hier wohl zuletzt vertraut beisammensaßen und lange Gespräche führten? Im hinteren Bereich des Doppelhauses befindet sich das Esszimmer.

Nebenan geht's in die "Kneipe". So pflegt Helmut Schmidt alter Hamburger Sitte gemäß die Bar neben dem Esszimmer zu nennen. Die Theke ist aus Backsteinen gemauert und mit einer dicken Holzauflage bedeckt. An den Wänden hängen maritime Bilder, Schiffszubehör, nautische Geräte, Seemannsknoten, Seekarten. Eine Schiffsleuchte ist zu sehen, ein Dreimaster, eine wuchtige Messingglocke.

Die Regale im hinteren Bereich sind gut bestückt mit allen möglichen Spirituosen. Darüber sind ein paar Buddelschiffe beleuchtet. Auf beiden Seiten der Theke befinden sich Barhocker. Und, natürlich, stehen überall Aschenbecher.

Dann ein Ruf aus dem Flur. Helmut Schmidt ist mit seinem Gehwagen aus dem Büro gekommen. Er erklärt, dass das Piano vorsichtshalber mit einem Teppich geschützt ist. Dann deutet er auf die Wand: Eines der Bilder dort ist von der Schauspielerin, Autorin und Malerin Lilli Palmer gemalt.

Jedes einzelne Stück im Hause, so wird klar, hat seine Bedeutung. Es sind höchstpersönliche Erinnerungen an fünf lebhafte Jahrzehnte unter diesem Dach. Beim Abschied fällt der Blick noch einmal auf die Flurwand. In Öl gemalt hängen dort Loki und Helmut Schmidt. Getrennt in dunklen Rahmen, aber doch Seite an Seite.

Es ist ein Leben, ein faszinierendes, einmaliges Leben.