Zuspitzungen gehören zum journalistischen Alltag. Aber manche Schlagzeilen-Begriffe führen in die Irre

Die vom selbst ernannten "Nationalsozialistischen Untergrund" begangenen Morde an türkischen und griechischen Mitbürgern sind auf dem besten Weg dazu, sich als "Döner-Morde" im kollektiven Gedächtnis festzusetzen. Aber sollten wir dieses Etikett wirklich benutzen, wenn wir von der gezielten Tötung von neun Menschen sprechen?

Als Journalisten stehen wir täglich vor einem Dilemma. Wir wollen dem Leser die Welt erklären. Doch die Welt ist ein unendlich komplexer Ort. Die Zeitung aber ist endlich, der Raum in ihr ist knapp. Also sind wir gezwungen zu vereinfachen: zuzuspitzen.

Die Funktionsweise von Sprache hilft uns bei dieser Aufgabe. Denn Kommunikation basiert zu großen Teilen nicht auf Inhalten, sondern auf dem, was der Angesprochene aus den Inhalten macht, wie er sie versteht und umsetzt. Jeder Satz, den wir lesen, löst Assoziationen aus, stellt Bezüge zu unserer individuellen Wirklichkeit her. Je mehr Menschen ähnliche Dinge mit dem gleichen Wort verbinden, desto erfolgreicher ist dieses Wort.

Und wir Journalisten haben erheblichen Anteil daran, dass Begriffe anerkannt werden. Denn die Einschränkungen, mit denen wir arbeiten, lassen uns kreativ werden. Wir erfinden Worte, von denen wir glauben, dass sie den Inhalt, den wir meinen, am besten transportieren können. Oder wir übernehmen sie von anderen, wenn wir glauben, dass sie sich bereits etabliert haben, dass jeder weiß, was wir meinen, wenn wir vom Sommermärchen oder dem Wirtschaftswunder sprechen.

Manchmal sollten wir jedoch innehalten und genau darüber nachdenken, was wir da für einen Ausdruck weiterverbreiten. Denn wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir den Begriff Döner-Morde verwenden?

Dass es sich bei den im Zeitraum von sechs Jahren begangenen Taten um eine Serie handelte, war schon deshalb klar, weil stets dieselbe Waffe benutzt wurde. Das andere verbindende Merkmal war die Herkunft der Opfer: Acht hatten türkische Wurzeln, eines kam aus Griechenland. Alle waren Gewerbetreibende in Deutschland. Nur zwei von ihnen arbeiteten tatsächlich in einer Dönerbude, die anderen waren Blumenhändler, Schneider, betrieben ein Internetcafé oder einen Kiosk, einen Gemüsehandel oder einen Schlüsseldienst. Dennoch etablierte sich das Stichwort "Döner" in der Berichterstattung über die Morde schnell. Türken und Döner, das scheint im kollektiven Bewusstsein zusammenzugehören.

Stereotypen sind zwar Teil unseres täglichen Lebens; dennoch sollten gerade wir Journalisten vorsichtig mit ihnen umgehen. Niemand möchte auf ein Lebensmittel reduziert werden.

Oder schlimmer noch, mit falschen Anschuldigungen in Verbindung gebracht werden. Denn je länger die Mordfälle ungeklärt blieben, desto mehr schossen die Hypothesen ins Kraut: Steckte das organisierte Verbrechen dahinter, Schutzgelderpresser? Oder hatten die Opfer sich am Ende selbst etwas zuschulden kommen lassen und mussten deshalb sterben? All diese Mutmaßungen schwingen im Wort Döner-Morde mit.

Und sollte sich herausstellen, dass die Neonazis tatsächlich auch die vor vier Jahren getötete Polizistin umgebracht haben, kann im schlimmsten Fall der Eindruck entstehen, es mit zwei verschiedenen Klassen von Verbrechen zu tun zu haben. Denn in die Schlagzeilenschublade Döner-Mord passt die Getötete nicht. Aber Mord bleibt Mord, egal, welchen Beruf das Opfer ausgeübt hat, egal, woher es stammte.

Selbst als man noch nicht wusste, wer hinter den Bluttaten steckt, war das Wort Döner-Morde eine unzulässige Verkürzung. Spätestens jetzt, wo wir wissen, dass die Opfer nur deshalb umgebracht wurden, weil sie nicht in das krude Weltbild rassistischer Gewalttäter passten, sollten wir es nicht mehr benutzen.

Wir sollten stattdessen im Blick behalten, dass hinter jeder Schlagzeile, hinter jeder Meldung und jedem Artikel Menschen stehen. Der Respekt vor ihnen sollte Maßgabe für jede Zuspitzung sein, zu der wir gezwungen sind oder von der wir meinen, dass sie zweckmäßig ist. Gerade bei Begriffen, von denen wir meinen, mit nur einem Wort sei alles gesagt, müssen wir sehr vorsichtig sein. Denn die Täter haben keine Döner umgebracht, sondern Menschen.