Die Basis von CDU und FDP sowie die Bürger erwarten eine Botschaft von der Regierung

Ihrem Außenminister hat die Bundesregierung zu verdanken, dass ihre Arbeit ursprünglich einem Leitgedanken folgen sollte. Zugegeben, das schwarz-gelbe Regierungsmotto erschließt sich nicht von selbst. Man muss schon in die Archive steigen, um den ideellen Überbau schwarz-gelben Handelns zu finden. Gemeint ist hierbei nicht der schwammige Titel des 124-seitigen Koalitionsvertrags "Wachstum. Bildung. Zusammenhalt". Nein, an dieser Stelle soll an den Auftritt Guido Westerwelles beim FDP-Dreikönigstreffen im Januar 2010 erinnert werden. Von einer "geistig-politischen Wende" sprach da der damalige Parteichef, die die Freidemokraten mit der Union im kommenden Jahrzehnt durchsetzen wollten.

In Westerwelles Worten steckte die Euphorie des Anfangs, das Vertrauen in die eigene Stärke, der Glaube an die Reformfähigkeit des ersten schwarz-gelben Bündnisses seit Helmut Kohl. Seine Vorstellung einer geistig-politischen Wende suggerierte das Vorhandensein einer christlich-liberalen Vision. Sie suggerierte vor allem die Motivation, dem Land ein neues ideologisches Fundament zu geben, das sich sichtbar von der rot-grünen Ära und den starren Folgejahren der Großen Koalition unterscheiden könnte. Diese Motivation war allerdings einseitig.

Das schwarz-gelbe Missverständnis, das bis zum heutigen Tag anhält, basiert auf dem Ur-Glauben der FDP von 2009, man habe es mit einem Reformbündnis zu tun. Und mit einer Kanzlerin, die ihre Reformagenda vom CDU-Parteitag 2003 noch immer verinnerlicht habe. Stattdessen bekamen es die Liberalen mit einer Kanzlerin zu tun, die ihren sozialdemokratischen Habitus der Großen Koalition nicht mehr ablegen wollte.

Aus der Erfahrung der Finanzkrise hatte Merkel ihre Prioritäten auf eine Weise verändert, die Westerwelle nicht für möglich gehalten hatte: Pragmatismus statt Visionen, auf Sicht fahren statt auf Risiko gehen, Konzentration aufs Krisenmanagement statt auf Steuerexperimente.

Anstatt die vom einstigen FDP-Chef herbeigeredete geistig-politische Wende mit Leben und Linie zu füllen, werden die Wähler seit zwei Jahren Zeugen atemberaubender Wendemanöver - in der Energiepolitik, in der Verteidigung, in der Steuerpolitik, ja sogar in der Außenpolitik. Merkelscher Pragmatismus eben. Deutschland wird vom kleinsten gemeinsamen Nenner regiert. Die zaghaften Koalitionsbeschlüsse vom vorvergangenen Sonntag sind der beste Beweis. In diesem Zustand ist die Koalition ihrem geistig-politischen Ende näher als einer geistig-politischen Wende.

Was diese Regierung braucht, ist ein neuer Leitgedanke. An der Mindestlohn-Debatte kann die Kanzlerin bereits ablesen, dass sich die CDU aus dem täglichen Krisenmanagement heraus nach einer grundlegenden Botschaft sehnt. In einer Zeit der Unberechenbarkeit will ihre Partei den Blick auf den einfachen Arbeitnehmer lenken und seine Würde wahren. Auch die FDP wird bei ihrem Euro-Mitgliederentscheid unsanft von ihrer Basis darauf hingewiesen, dass die Koalition bei aller Notwendigkeit der Euro-Rettung eins nicht vergessen darf: Die Bürger wollen wieder spüren, dass Politik zu ihrem Wohle gemacht wird. Der Erklärungsbedarf ist so gewaltig, dass ihn die Koalition als große Chance für sich begreifen sollte.

Sie wird sich im Wahlkampf 2013 nicht an einst versprochenen Steuersenkungen messen lassen können, wohl aber daran, ob sie den Menschen erklären kann, warum sich der teure Kampf um die eigene Währung lohnt. Die Mahnungen ihrer Basis sollten CDU und FDP aus ihren Parteitagen mit ins politische Tagesgeschäft nehmen - und beherzigen. So könnte aus dem schwarz-gelben Missverständnis doch noch ein schwarz-gelbes Selbstverständnis erwachsen. Die Wähler hätten es verdient.