Die Europäische Zentralbank muss signalisieren, dass Italien nicht pleitegehen kann. Sonst droht eine Kettenreaktion

Selten hat sich unser Wirtschaftsausblick so schlagartig eingetrübt wie heute. Bis zum Sommer konnte Deutschland das beste Wachstum seit 20 Jahren genießen, mit vielen neuen Arbeitsplätzen, sprudelnden Steuereinnahmen und einem nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt. Mit dem Euro-Rettungsschirm, den unsere Regierung im Mai 2010 klugerweise aufgespannt hatte, hatten wir unseren Aufschwung wirksam vor dem griechischen Schuldensturm geschützt.

Ende Juli hat Europa diesen Rettungsschirm dann durchlöchert. Seit dem Beschluss, dass der private Sektor "freiwillig" auf einen Teil seiner Forderungen an den griechischen Staat verzichten müsse, fürchten viele Sparer und Anleger rund um die Welt, dass ihnen auch andernorts in Europa ein Schuldenschnitt drohen könnte. Es kam zu genau den Marktturbulenzen, vor denen die Europäische Zentralbank gewarnt hatte. Da Unternehmen in unsicheren Zeiten weniger investieren und Haushalte weniger einkaufen, droht uns jetzt eine Rezession.

In der Euro-Schuldenkrise bestand von Anfang an die wesentliche Aufgabe darin, die Ansteckungsgefahren auf Staaten wie Spanien, Italien oder sogar Frankreich zu vermeiden. Italien hat eigentlich kein großes Problem im laufenden Staatshaushalt. Mit vermutlich unter vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung in 2011 ist der Fehlbetrag nicht einmal halb so hoch wie in den USA und Großbritannien (und geringer als in Deutschland im Jahr 2010). Aber dank früherer Haushaltssünden, die fast 20 Jahre zurückliegen, schleppt Italien eine große Schuldenlast mit sich herum, die es bei mickrigem Wachstum nur langsam in den Griff bekommt.

Seit wir mit dem griechischen Schuldenschnitt einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen haben, ist die Vertrauenskrise voll auf das weit gesündere Italien übergesprungen. Um die deutsche Wirtschaft zu schützen und weiteren Schaden vom Steuerzahler abzuwenden, müssen wir eine Kettenreaktion aus Staats- und Bankenpleiten in Europa verhindern, die ansonsten von Italien über Spanien bis Frankreich reichen und auch uns in eine tiefe und teure Depression stürzen könnte. Denn ohne Handelspartner helfen uns die schönsten Autos und Maschinen im Ausfuhrsortiment nichts.

Um die Kettenreaktion zu vermeiden, müssen wir den verängstigten Sparern und Anlegern der Welt zeigen können, dass ihr Geld in Italien sicher ist.

Als Erstes müssen wir Italien zu Strukturreformen bewegen, die sein Wachstumspotenzial so stärken, wie wir es selbst nach 2003 mit der Agenda 2010 bei uns getan haben. Zum Glück beginnt Italien jetzt mit Reformen.

Der Euro-Rettungsschirm ist gut. Aber ob er breit genug ist, Italien schützen zu können, ist fraglich. Im äußersten Notfall müsste wohl auch die Zentralbank ein starkes Signal senden.

Wir erinnern uns: Nachdem die ungeordnete Lehman-Pleite im Herbst 2008 auch bei uns die tiefste Rezession seit über 60 Jahren ausgelöst hatte, vermochte erst die Ankündigung der US-Notenbank im März 2009, im großen Umfang Staatsanleihen zu kaufen, den Einbruch der Märkte und der deutschen Konjunktur zu stoppen. Heute müsste die EZB ankündigen, notfalls mit eigenen Eingriffen dafür zu sorgen, dass Italien nicht pleitegehen kann, sofern Rom sich strikt an klar formulierte Reformauflagen hält.

In normalen Zeiten verbietet sich der Ankauf von Staatsanleihen durch die Notenbank. Aber bei drohender Gefahr einer Wirtschaftskatastrophe muss zur Not ein starkes Medikament eingesetzt werden. Auch in der Medizin muss bei einem Herzinfarkt eine ganz andere Medizin verabreicht werden als bei Unwohlsein.

Die weit verbreitete Sorge, dass ein solches Eingreifen der Zentralbank inflationär sein könnte, ist nicht angebracht. Denn Finanzkrisen zeichnen sich dadurch aus, dass Anleger, Haushalte und Unternehmen mehr Liquidität halten möchten. Ein zeitweilig erhöhtes Geldangebot trifft auf eine zeitweilig erhöhte Geldnachfrage. Damit verursacht die Notenbank durch den Kauf von Anleihen keine Inflation; sie kann eine tiefe Wirtschaftskrise verhindern. In ungewöhnlich gefährlicher Lage können ungewöhnliche Mittel angebracht sein, um unserer Wirtschaft weitere Turbulenzen zu ersparen.