Es war ein Fehler, die Volksbefragung in Griechenland abzusetzen. Die Politik sollte stattdessen die Hydra der Finanzmärkte bekämpfen

Wir haben in letzter Zeit den Kampf Griechenlands um seine Zukunft miterlebt. Auch den Kampf der Euro-Länder um die Gemeinschaftswährung, den Kampf der Europäischen Union um ihre eigene Zukunft und den Kampf der Staaten gegen die Finanzmärkte. Inzwischen geht es allerdings auch darum, wie viel Demokratie in diesen Auseinandersetzungen noch möglich ist.

Als die politischen Euro-Führer vor einer Woche eine Einigung erzielten, fuhr der griechische Ministerpräsident Papandreou ins brennende Athen und kündigte an, dass die beiden einzigen Souveräne einer parlamentarischen Demokratie - nämlich das Parlament und das Volk selbst - über das Sanierungspaket entscheiden sollten. Papandreou wusste, was er tat. Er musste fürchten, dass jedes Regierungsgesetz von seiner eigenen Bevölkerung als Schanddiktat wahrgenommen würde. Zu präsent ist die Erinnerung an den Versailler Vertrag als Menetekel der Siegermacht. Dabei geht es auch anders: Der Marshall-Plan brachte die Rosinenbomber nach Berlin, und die Londoner Schuldenkonferenz gab Deutschland für die Rückzahlung seiner Schulden, an denen das Blut von 50 Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg klebte, eine Frist bis 2011. Griechenland würde sich über ein so langes Schuldenmoratorium freuen.

Was dann folgte, wirft ein düsteres Licht auf die Europäische Gemeinschaft. Ein Empörungssturm fegte los mit dem Tenor: Wie kommt Papandreou dazu, sein Volk zu fragen, das womöglich mit Nein stimmen und den Euro zu Fall bringen könnte?

An der Spitze der Antireferendumsempörung standen mit Merkel und Sarkozy die Vorsteher der beiden europäischen Kernländer. Sie setzten Papandreou so sehr unter Druck, dass er die Volksbefragung absagen musste. Immerhin gelang ihm noch der Parlamentsentscheid, den er gewann. Sein Amt aber konnte er nicht mehr retten. Sieg? Für was? Von wem? Mit der Macht des Geldes verboten Merkel und Sarkozy dem griechischen Ministerpräsidenten, sein Volk zu befragen. So erlebten wir eine der schlimmsten Stunden in der Geschichte der Europäischen Union. Dem Mutterland der Demokratie wurde das demokratische Verfahren von den Besitzern der Geld- und Währungsreserven verboten. So bleibt Griechenland nur der Rekurs auf das zweite Standbein seiner langen Geschichte. Alle Kräfte der antiken Tragödie, die auch in Hellas ihren Ursprung hat, sind entfesselt.

Die Finanzmärkte haben es fast geschafft, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken, um nun den Schwarzen Peter den Bäckern und Bauern Griechenlands zuzuschieben. Das ist kompletter Unsinn. Nichts, aber auch gar nichts entlässt die entfesselten globalen Kapitalmärkte mit ihren Derivate-Vernichtungswaffen aus ihrer Hauptverantwortung für die aktuelle Finanzkrise.

Bitter aber ist dabei, dass die Staaten in dem Prozess der Selbstverteidigung dazu übergehen, das Kostbarste auf dem Schrein der Euro-Rettung zu opfern, was ihre Identität ausmacht: demokratische Verfahren und demokratische Abstimmungen.

Man kann ahnen, dass die nächsten Notstandsgesetze, die die Bevölkerung zu Millionen auf die Straße bringen werden, sich auf Finanzaktionen beziehen werden. Schon heute hat das italienische Parlament sich seiner Haushaltssouveränität entledigt und die Kontrolle darüber an europäische "Beamte" abgegeben. Griechenland ist haushaltspolitisch ohnehin eine besetzte Nation.

Entschlossener Widerstand gegen diese fortschreitende Entdemokratisierung ist geboten. Was wir in der letzten Woche in Griechenland erlebt haben, muss eine Warnung für uns alle sein. Eine Europäische Union und eine Gemeinschaftswährung, die keine Zeit und keinen Raum für demokratische Verfahren mehr lassen, sind es nicht wert, verteidigt zu werden. Wir in Europa haben zu lange aufs Geld geschielt und dabei übersehen, wie sich an vielen Orten der Welt die Flamme der Demokratie neu entzündet hat. Wir dürfen dahinter nicht zurückbleiben und müssen endlich mehr Demokratie wagen - in Europa und beim Euro. Das rigorose Vorgehen gegen die Hydra der Finanzmärkte ist dabei eine Vorbedingung.