Mit dieser Entscheidung hatte wohl niemand gerechnet: Gleich auf der ersten Sitzung unter der Leitung des neuen Präsidenten Mario Draghi hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die Zinsen gesenkt. Dabei hatte der Italiener allen Grund, dem verbreiteten Argwohn, er werde für eine lockerere Zinspolitik stehen als sein Vorgänger Jean-Claude Trichet, entgegenzutreten.

Gerade in Deutschland, wo die Angst vor Inflation erheblich ausgeprägter ist als in vielen anderen Euro-Ländern, sitzt das Misstrauen tief. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Draghi gestern demonstrativ bekannt gab, das Votum sei einstimmig gefällt worden.

Die kräftigen Kursgewinne an der Börse als Reaktion auf die Zinssenkung erstaunen allerdings. Denn es liegt auf der Hand, dass sich Draghi nur deshalb zu diesem Schritt durchringen konnte, weil seine Sorge vor einer Rezession in Europa sehr groß ist. Das ist beunruhigend.

Zwar hat der neue EZB-Chef gestern - ebenso wie zuvor stets Trichet - darauf hingewiesen, in erster Linie sei es Sache der Regierungen, für Finanzstabilität zu sorgen. Aber mit der überraschenden Zinsentscheidung hat Draghi auch signalisiert, dass er sich der Verantwortung der Notenbank, aktiv an der Bekämpfung der Euro-Krise mitzuwirken, durchaus bewusst ist. Und das ist gut so. Schließlich gibt es nur eine Institution, die eine eventuelle Marktpanik kurzfristig beenden kann - eben die EZB.

Die Zinssenkung zeigt aber noch etwas anderes: Inflation ist auf absehbare Zeit nun wirklich kein Thema.