Er gehörte mit Leib und Seele zu Hamburg, lehnte alle Angebote ab, in den besten Mannschaften Europas zu spielen. Seine Karriere gibt ihm recht.

Hamburg. Wer sich über die sportliche Lebensleistung von Deutschlands berühmtestem Uwe informieren will, sollte ein Buch mit dem Titel "Der Ball ist rund" lesen. Das Werk umfasst 276 Seiten und der Autor ist ein fußballvernarrter Schriftsteller aus Uruguay mit dem wohlklingenden Namen Eduardo Galeano. Auf Seite 152 schreibt er: "Seeler war auf Fußballplätzen in der ganzen Welt immer der Kleinste und Dickste. Er gehörte mit Leib und Seele zu Hamburg, lehnte alle Angebote ab, in den besten Mannschaften Europas zu spielen, er spielte vier Weltmeisterschaften. ,Uwe, Uwe' zu rufen war die beste Art ,Deutschland, Deutschland' zu rufen."

Apropos Angebot: An einem Regentag im Herbst 1960 sitzt " el Mago" Helenio Herrera im Nobelhotel Atlantic. Der Trainer aus Argentinien, Chef bei Inter Mailand, will Seeler nach Italien locken. Um jeden Preis. Seine Offerte: Ab 1. Juli 1961 Mittelstürmer bei Inter. Jahresgehalt: pro Saison 500.000 Mark netto, steuerfrei. Drei Jahre garantiert.

Das Handgeld hat er bar in einer Aktentasche im Hotel dabei. Sie steht unter einem Tisch und wird nicht berührt werden. Seeler, 25 Lenze jung, ist zu diesem Zeitpunkt schon ein Star. Stammspieler beim HSV, acht Jahre hintereinander norddeutscher Meister, 1957 und 1958 deutscher Vizemeister. Vorher Pokalfinalist 1956, erste WM-Teilnahme 1958 in Schweden. Deutscher Meister mit dem HSV 1960 gegen Köln und Deutschlands Fußballer des Jahres zum ersten Mal. Zwei dieser Titel sollen noch folgen. Eine Offerte von Real Madrid, die Herrera zur Fahrt nach Hamburg inspirierte, hat er kurz zuvor abgelehnt.

Die Gespräche in der Nobel-Herberge dauern zwei Tage. Uwes Nein am Ende ist für Herrera unbegreiflich. Heute sagt Uwe: "Das Angebot war schon sehr verlockend. Wir bekamen damals als Grundgehalt 500 Mark, später 2500. Ilka überließ mir die Entscheidung. Ich holte mir Rat bei Trainer Mahlmann und Bundestrainer Sepp Herberger. Beide sagten: Du bist ein echter Hamburger. In der Fremde gehst du kaputt. Und wenn ich heute Bilanz ziehe, dann war diese Entscheidung goldrichtig, weil Herberger mir einen tollen Job als Handelsvertreter bei Adidas besorgte. Ein wichtiges Standbein für meinen späteren Lebensweg."

Dieser Weg ist geprägt von Talent und Ehrgeiz. Der legendäre Sepp Herberger, von 1936 bis 1964 Bundestrainer und Weltmeister 1954, schreibt seinem Stammspieler: "Lieber Uwe! Mir imponiert Ihre Beharrlichkeit, Ihr Fleiß. Sie sind ein Prototyp des erfolgreichen Torjägers. Aber Sie müssen sich merken: Am Kopfball-Pendel müssen Sie den Nacken schön steif halten und mit dem ganzen Oberkörper hinter den Ball springen. Das ist notwendig, wenn Sie erfolgreich sein wollen."

Herbergers Nachfolger, Helmut Schön, von 1964 bis 1978 Bundestrainer, ein Fußball-Ästhet, der Sohn eines Kunsthändlers aus Dresden und Ex-Spieler beim FC St. Pauli, schenkte Seeler etwas sehr Kostbares: Vertrauen. Rückblickend sagt Uwe: "Ich gab ihm das Vertrauen zurück, zum Beispiel beim 2:1-Siegtreffer in Schweden im WM-Qualifikationsspiel. Durch den Sieg konnten wir bei der WM in England 1966 teilnehmen. Und das alles sieben Monate nach meinem schlimmen Unfall in Frankfurt."

Der schlimme Unfall geschah am 20. Februar 1965, einem kalten Wintertag. Der HSV ist zu Gast in Frankfurt. Der Frankfurter Lechner springt über Uwes Bein. Plötzlich spürt Seeler einen schmerzhaften Tritt an der rechten Ferse. Ohne Fremdeinwirkung. Die genauen Umstände bleiben rätselhaft. Die Folge: Achillessehnenriss, vier Stunden Operation. 164 Tage dauert die Tortur zur Rückkehr. Tägliches Training in der Folterkammer mit Gewichten. "Ich lernte fürs Leben", sagte Uwe später, "ich lernte Demut und Dankbarkeit und wie kostbar die Gesundheit ist." Die Sportbilanz danach ist einzigartig: Berufung in die Weltelf, Europa-Auswahl, dritte WM-Teilnahme 1966 in England, Ehrungen, Endspiel im Europapokal der Pokalsieger Bundesliga-Alltag, 1968 Rücktritt aus der Nationalelf, 1969 Rückkehr in die Nationalelf, Juni 1970 WM in Mexiko (3. Platz) mit dem legendären Hinter-Kopfballtor gegen England bei 50 Grad im Schatten. "Meine tollen Locken sorgten für die richtige Richtung des Balles beim 3:2-Sieg in Léon." Uwe grinst. Bei jedem öffentlichen Auftritt ist er gezwungen, die Stelle am Hinterkopf zu zeigen. Ebenso die Schilderung über das berühmteste Tor in der WM-Geschichte, beim Finale in London am 30. Juli 1966. Drin oder nicht drin. Bis heute streiten sich die Geister. Das Foto, wie Seeler mit hängendem Kopf den Wembley-Rasen verlässt, sorgte jahrzehntelang für Irritationen. War es der Schnappschuss zur Halbzeit oder nach dem 2:4-Schlusspfiff? Uwe winkt ab. "Nee, nee, es war nach dem Schlusspfiff auf dem Weg zur Königsloge, und ich schwöre auf meine alten Tage, der Ball zum 3:2 war niemals ein Tor. Sogar die Engländer haben uns das bestätigt. Das Schöne an dieser Niederlage war: Auch wenn ich niemals Weltmeister wurde, wir wurden mit den englischen Spielern gute Freunde."

Feuchtes Schimmern haben am 9. September 1970 rund 50.000 Menschen im Nürnberger Stadion und Millionen am TV in den Augen. Zum letzten Mal spielt "uns Uwe" beim 3:1 gegen Ungarn nach 71 Länderspielen für Deutschland. Am 18. März 1972 erzielt er sein letztes Bundesligator nach 239 Spielen und insgesamt 137 Treffern für seinen HSV, 267 in der Oberliga und 43 für Deutschland in insgesamt 548 Spielen. Zwei Monate später endet im Volksparkstadion die Karriere des Vorzeigeprofis, vor 72 000 Zuschauern.

Lassen wir das Schlusswort Franz Beckenbauer sprechen: "Ja, der Dicke ist ein echter Typ. In seinem ganzen Leben ist er stets richtig platziert gewesen. Auf dem Platz war er immer da, wohin der Ball flog. Bei Festivitäten weiß er genau, wo der Wirt das Bier auf die Theke stellt. Beruflich steht er mit beiden Beinen richtig. Nur einmal stand er gefährlich falsch. Am Skihang in Obertauern bei der Meisterschaft unserer Schneeforscher. Ich bedaure sehr, dass er kein Bayer ist." Wir Hanseaten nicht.

Lesen Sie morgen: Auf seine Ilka hatte ein anderer ein Auge geworfen. Doch sie wollte nur ihn