Anlässlich der Kampagne “Gib Deinen Zehnten“ diskutiert der Bürgermeister mit Jugendlichen über ehrenamtliches Engagement.

Hamburg. Der Rathausbalkon ist ganz besonderen Anlässen vorbehalten. Insofern war es eine große Ehre, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) seine Gäste als Erstes dorthin bat. Im Rahmen der Kampagne "Gib Deinen Zehnten" hatte das Abendblatt den Senatschef zur Diskussion mit drei engagierten jungen Hamburgern über ehrenamtliches Engagement gebeten. Markus Bruhn, 24, Politikstudent im 9. Semester, ist bei der Katholischen Studierenden Jugend aktiv. Lea Krause-Solberg, 21, studiert auch Politik, war ein Jahr mit dem Nordelbischen Missionszentrum in Tansania, arbeitet ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde. Die Südafrikanerin Sinazo Saul, 18, Elftklässlerin am Gymnasium Hamm, engagiert sich bei der Kampagne "Schulen für Afrika" des Reeders Peter Krämer.

Markus Bruhn: Herr Bürgermeister, haben Sie sich in Ihrer Jugend ehrenamtlich engagiert?
Olaf Scholz: Schon sehr früh. Ich war Klassensprecher und Schulsprecher. Zusammen mit anderen habe ich mich damals zum Beispiel für ein Jugendzentrum in Rahlstedt eingesetzt. Das Engagement damals hat dann dazu beigetragen, dass ich in die Politik hineingewachsen und irgendwann zu den Jusos und zur SPD gekommen bin.

Markus Bruhn: Und warum haben Sie das gemacht?
Scholz: Ich bin jetzt 53. Das Engagement, zum Beispiel für das Jugendzentrum, ist schon eine Weile her. Da besteht natürlich die Gefahr der nachträglichen Verklärung. Aber für mich war die Fragestellung, wie es weitergeht in unserer Gesellschaft, schon früh sehr wichtig. Ich habe Gerechtigkeit auch im kleinen Rahmen immer für wichtig gehalten, und ich habe mich für eine gerechte Welt eingesetzt. Das war für mich auch das Motiv, in die SPD einzutreten.

Lea Krause-Solberg: Haben Sie jetzt noch ein Ehrenamt?
Scholz: Ja, SPD-Landesvorsitzender. Aber das darf man sich jetzt nicht falsch vorstellen. Als Bürgermeister habe ich ein Amt, das den ganzen Tag und auch die Wochenenden ausfüllt. Da bleibt keine Zeit für andere Aufgaben. Aber als Bürgermeister bin ich zum Beispiel Vorsitzender der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

Lea Krause-Solberg: Leider gibt es ja immer weniger Freiwillige. Was kann Hamburg als Stadt dagegen tun?
Scholz: Ich kenne viele, die ein Ehrenamt haben. Ohne das Ehrenamt würde es manches nicht geben, auf das wir angewiesen sind. Und zwar nicht, weil wir es nicht bezahlen können - sondern weil das Herz, die Liebe, die Zuneigung, die für dieses Engagement nötig sind, nicht verordnet werden kann.

Markus Bruhn: Müsste man nicht auch in den Schulen ansetzen? Es gibt immer mehr Ganztagsschulen, das Abitur nach acht Jahren Gymnasium wurde eingeführt. Gerade Jugendliche haben oft zu wenig freie Zeit, um sich zu engagieren.
Scholz: Das ist tatsächlich ein Problem. Um sich zurechtzufinden im Leben, braucht es auch Zeit. Es schadet nicht, wenn man sich als junger Mensch und auch sonst im Leben auch mal ein bisschen langweilt.

Sinazo Saul: Was halten Sie von einer Schulnote für das Ehrenamt?
Scholz: Gar nichts. Ehrenamtliches Engagement muss aus einem herauskommen, aus einer inneren Einstellung. Wenn es eine Pflicht ist, dass man Zuneigung zu anderen Menschen hat, dann kann es nicht die ehrliche Zuneigung sein, um die es gehen muss. Zuneigung kann man nicht bewerten.

Markus Bruhn: Das sehe ich genauso. Man würde die Ehrenamtlichen dann ja unter Leistungsdruck setzen. Das würde der Sache zuwiderlaufen.
Scholz: Wichtig finde ich in diesem Zusammenhang, dass mit der Zunahme des Ganztagsbetriebs an Schulen neue Herausforderungen entstehen. Die Schulen müssen künftig die Vereine und alle anderen, die bislang Nachmittagsangebote gemacht haben, einbinden.

Lea Krause-Solberg: Und wie sehen Sie die Verantwortung der Politik, bessere Rahmenbedingungen für das Ehrenamt zu schaffen?
Scholz: Es hat im Bundestag eine lange und ernsthafte Diskussion darüber gegeben, wie die Freiwilligenarbeit gefördert werden kann. Eine Reihe von Vorschlägen ist inzwischen umgesetzt, etwa steuerliche Entlastungen für Übungsleiter in Sportvereinen. Am Ende funktioniert das Ehrenamt aber, weil man es ausüben will - und nicht weil die Politik große Pläne hat.

Abendblatt: Manchmal hat man den Eindruck, dass unser Sozialsystem ohne Freiwillige gar nicht mehr funktionieren würde. Nutzt der Staat Freiwillige aus?
Scholz: Wir haben ein funktionierendes Sozialsystem. Aber klar ist auch: Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer würde es in Hamburg anders aussehen. Wichtiger als das, was diese Menschen in ihrer ehrenamtlichen Arbeit tun, ist aber, warum sie es tun. Die Grundüberzeugung, etwas Gutes tun zu können und zu wollen, strahlt in unsere Gesellschaft herein und gibt ein Gefühl von Geborgenheit.

Sinazo Saul: Dann müsste die Politik sich doch aber gerade etwas einfallen lassen, um das zu befördern.
Scholz: Man tut den Engagierten unrecht, wenn man sie und ihre Arbeit auf die Nützlichkeitserwägung reduziert. Das genau ist ja nicht, was sie antreibt. Aber natürlich ist es auch wichtig, dass Menschen für ihr besonderes Engagement geehrt werden, beispielsweise mit dem Bundesverdienstkreuz.

Abendblatt: Da würde mich mal interessieren, was ihr davon haltet, für euer Engagement eine Medaille zu bekommen?
Scholz: Das ist jetzt Journalismus ...

Markus Bruhn: Ich finde eine Auszeichnung im Prinzip gut. Abgesehen davon, dass ich sie noch nicht verdiene ...
Scholz: Die gibt es auch noch nicht so früh.

Markus Bruhn: Aber das ist nicht der Grund, warum ich mich engagiere. Ich finde, man bekommt das, was man gibt, zigfach zurück.

Sinazo Saul: Ich habe noch nie darüber nachgedacht, etwas für meine Arbeit zu bekommen. Ich mache es einfach gern. Wir schicken zum Beispiel Kleidung nach Afrika. Für mich ist es schön zu sehen, wie dankbar die Menschen sind.

Lea Krause-Solberg: Mir geht es auch nicht um eine Medaille. Aber es ist einfach so, dass Studenten oft arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Zeit für freiwilliges Engagement bleibt wenig. Da würden Vergünstigungen helfen. Zum Beispiel bei den Studiengebühren ...
Scholz: ... die schaffen wir gerade ab.

Markus Bruhn: Aber erst ab nächstem Jahr. Dann bin ich fertig.
Scholz: Gute Vorschläge, wie das Ehrenamt sich gut auswirken könnte, sind immer willkommen. Grundsätzlich bleibe ich aber dabei: Engagement findet statt, weil es einem wichtig ist, und nicht, weil man etwas dafür bekommt.

Sinazo Saul: Wie verstehen Sie das Motto "Gib Deinen Zehnten"?
Scholz: Es ist die Aufforderung, sich einen Ruck zu geben und etwas für die Gemeinschaft zu tun. Das unterstütze ich von ganzem Herzen.