Die Innenstadt verliert einen “altmodischen Kauz“. Nach 30 Jahren gibt Dr. Schmoller seinen antiken Uhrenladen an der Poststraße auf.

Neustadt. Es sind nur drei Stufen, die von der lauten Poststraße in der Hamburger Innenstadt hinabführen in das Ladengeschäft. "Dr. Schmoller" steht in feiner Schreibschrift über dem Eingang. Direkt darunter beginnt in dem Moment, in dem sich die Glastür öffnet, ein geheimnisvoller Gang in eine andere Zeit. Und obwohl an den Wänden, in den Regalen und von der Decke herunter Hunderte kleine und große Uhren dicht an dicht unaufhörlich vor sich hin ticken, als gehorchten sie einem überirdischen Taktgeber, scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein.

Dr. Bernd Schmoller, 66, ist ein freundlicher Mann. Schlank und groß gewachsen, kurze grau-weiße Haare. Die Brille sitzt ab und an sehr tief auf der Nase, und der Bart kreist um einen Mund, der meistens milde lächelt. Der Name, denkt man, passt nicht zu dem Menschen.

Schmoller ist mal als "Urologe" bezeichnet worden. Das war ganz witzig, weil er ja wirklich Doktor ist und eine Menge mit Uhren zu tun hat. Weniger charmant fand er es, als man ihn fragte, was denn sein Doktortitel auf dem Kiez gekostet hätte.

Schmoller hat nach dem Abitur auf dem Gymnasium Hegestraße in Hamburg Sinologie studiert und mit einer Arbeit über "Rechtsfälle aus der Zeit der Song-Dynastie" im chinesischen Kaiserreich promoviert. Und nun verkauft der Doktor seit 30 Jahren antike Uhren. Darf man einen Uhrenhändler fragen, ob er noch richtig tickt? "Na ja", sagt Schmoller und lächelt, "jede Vita ist mit Merkwürdigkeiten gefüllt." Pause. "Und meine hat besonders viele."

Schmoller war Flohmarkthändler, Reisender, Handelsvertreter. "Propagandist", sagt er. Er hat in Kaufhäusern, auf Messen und Ausstellungen verkauft. Der Doktor hat Spielzeugartikel an das Kind gebracht. Luftballons aus der Tube und so. Und irgendwann hat er sich in die Uhren verliebt. Als der verwinkelte Laden 1981 zum Verkauf stand, hat er zugegriffen. In zehn Jahren wurden aus 50 Quadratmetern 100. Schmoller expandierte, sammelte Wissen, wälzte Fachliteratur und führte lange Gespräche mit begeisterten Sammlern aus aller Welt.

Das war ihm über all die Jahre das Liebste. Die Gespräche mit den Kunden. Dafür hat er sich immer Zeit genommen. Und vielleicht passt er auch deshalb nicht mehr so recht in diese Zeit. Nach 30 Jahren gibt er Ende November seinen Laden auf.

Manche werden den Weggang von Dr. Schmoller als weiteren Beleg für die kulturelle Verarmung der City nehmen. Andere halten den ständigen Wechsel für einen sehr normalen Vorgang. City-Managerin Brigitte Engler sagt, dass zu einer lebendigen Großstadt der Wechsel gehört und sich an der Struktur mit seinen inhabergeführten Läden nichts ändern wird. Im Gegenteil.

Derzeit ständen zahlreiche spannende Umbauten bevor, im Frühjahr 2012 eröffnen neue Passagen wie die Alte Post oder die Kaisergalerie auf der Fläche des ehemaligen Ohnsorg-Theaters. Ein Geschäft wie das von Dr. Schmoller, sagt Brigitte Engler, sei ohnehin keine geeignete Fläche für einen großen Filialisten. Keine Angst, soll das heißen, die City bleibt bunt und vielfältig.

Schmollers Laden wirkt wie der Gegenentwurf zu all den hippen Bekleidungsboutiquen, von denen er in den letzten Jahren umzingelt worden ist. Und seine Philosophie des Verkaufens dürfte sich in keinem Lehrbuch finden. "Nicht selten kommen Menschen zu mir, die etwas suchen, was in ihrer Lebensgeschichte einmal vorhanden war", sagt Schmoller. Daraus entwickelten sich sehr oft interessante Gespräche, "die für mich auch nach 30 Jahren nie langweilig geworden sind - wenn die Menschen wirklich etwas zu sagen hatten". Es ging Schmoller vor allem um den Kontakt. Selbst wenn dabei am Ende kein Geschäft herausgesprungen ist.

"Ich habe kürzlich eine Standuhr geerbt, bei der ist der Sekundenzeiger abhanden gekommen. Können Sie mir helfen?" Der ältere Herr zeigt Bernd Schmoller ein Farbfoto von dem prächtigen Erbstück. "Kann ich das Foto behalten?", fragt Schmoller. Er hat Tausenden von Menschen in den letzten drei Jahrzehnten geholfen, das Alte zu bewahren. Dieser Mann wird einer seiner letzten Kunden sein. Die Miete, zuletzt auf rund 2500 Euro im Monat halbiert, ist happig, die Kunden tummeln sich im Internet, die Alten sterben weg.

"Räumungsverkauf" steht draußen an der Scheibe. Das klingt nach Ausverkauf und Rabatt und hat wenig mit den antiken Schätzen zu tun, die man in diesen letzten Wochen bei Dr. Schmoller noch erwerben kann. Zahlreiche Salonuhren und verglaste Wanduhren warten auf Käufer. Eine französische Pendule mit einem Quecksilberpendel aus dem Jahr 1890, eine Pariser Reiseuhr von 1870 mit der Besonderheit des Stunden- und Viertelstundenschlags, eine englische Tischlaternenuhr mit schwerem Uhrwerk von 1840 sowie Damen- und Herrentaschenuhren in Silber und Gold zwischen 1760 und 1980.

Er hat wohl 5000 größere Uhren von 30 bis 3000 Euro im Angebot. Dazu Armbanduhren, Nautika, Gehstöcke und Kerzenständer. Für den Experten der Sekunden und Minuten ist es kein Drama, wenn eine 200 Jahre alte Uhr etwas vor- oder nachgeht. "Und derjenige, der vor 200 Jahren die Zeit darauf abgelesen hat, wird sich auch keinen Kopf darüber gemacht haben", sagt er.

Wo landet jemand, der aus der Zeit gefallen ist? Für einen Menschen wie Dr. Schmoller verbietet es sich quasi, die Zeit zu vertrödeln. Er wird weiter als Uhrenexperte in der NDR-Sendung "Lieb&Teuer" mitwirken und als Sachverständiger arbeiten. Er wird vielleicht ein Buch schreiben. Und er wird reisen. Zu den erwachsenen Kindern in die USA. Und nach China? "Ja, vielleicht", sagt der Doktor der Sinologie.

Eine Kundin will wissen, ob das Ende nach drei Jahrzehnten für ihn nicht sehr schmerzhaft sei? "Es geht", sagt Schmoller. Wer wüsste besser als er, dass man die Zeit nicht anhalten kann. "Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich von manchen belächelt werde und als altmodischer Kauz erscheinen mag", sagt er zum Schluss. Er fühlt sich, sagt er, manchmal wie ein Insulaner in einem Meer der Modernisierung.