Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall

Neustadt. Die Frau ist ein Nervenbündel. Das Gesicht blass, die Hände vor dem Bauch ineinandergekrallt, rutscht sie nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Die Angst ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die Sorge, dass es wirklich schiefgehen könnte mit den Plänen, die sie für die Zukunft hatte. Ein Leben, das sie mit ihrer großen Liebe verbringen will, dem Mann ihrer Träume. Der sitzt einige Meter vor ihr und hätte jeden Grund, noch sehr viel unruhiger zu sein als seine Verlobte. Schließlich ist es vor allem seine Freiheit, die hier auf dem Spiel steht. Er ist es, der sich als Angeklagter vor Gericht verantworten muss und für längere Zeit ins Gefängnis kommen könnte. Doch anders als seine Freundin scheint Björn K. sein Schicksal mit verblüffender Gelassenheit zu erwarten - komme, was auch immer da wolle.

Schwerer Diebstahl wird dem 41-Jährigen im Prozess vor dem Amtsgericht vorgeworfen. Laut Anklage ist der Ein-Euro-Jobber in ein Schuhgeschäft eingestiegen, hat 830 Euro, eine Handtasche und einen Laptop geklaut und ist dann geflüchtet. "Ja, das stimmt", räumt der hagere Hamburger, der seit dem Vorfall vom Juli in Untersuchungshaft sitzt, die Vorwürfe unumwunden ein. Doch hätten "mehrere Zufälle" ihn erst zu der Tat verleitet. Den Laptop mit der dazugehörigen Tasche habe er in der Nähe des Geschäfts in einem Lokal gefunden. Dann habe er durch ein Fenster in dem Schuhgeschäft eine Handtasche erspäht. "Ich dachte, die könnte ich für meine Freundin mitnehmen, die würde sich vielleicht freuen", erzählt der Angeklagte und wirft seiner Verlobten einen liebevollen Blick zu. Die aschblonde Frau kämpft mit den Tränen, ihre Miene verrät tiefes Mitleid und innige Zuneigung. Immer wieder fährt sie dazwischen, um für ihren Liebsten ein gutes Wort einzulegen. Erst als der Amtsrichter sie ermahnt, sie müsse den Saal verlassen, wenn sie nicht ruhig bleiben kann, hält sie erschreckt die Hand vor den Mund. Draußen warten, getrennt von ihrem Verlobten - um Himmels willen, nur das nicht.

Schließlich, fährt der Angeklagte nun wieder selber fort, habe er "geguckt, ob in dem Geschäft noch mehr ist". Das Fenster sei bereits aufgehebelt gewesen, vor ihm müssten bereits andere Einbrecher dort gewesen sein. "Da bin ich dann in das Objekt reingegangen." Er sei in Geldnot gewesen und zudem "völlig durch den Wind", weil er kurz zuvor erfahren habe, dass er während einer früheren Zeit der Drogenabhängigkeit mit Aids infiziert wurde. Über seine Beute hat sich der unter anderem wegen Diebstahls vorbestrafte Björn K. jedenfalls nicht lange freuen können. Wenige Meter vom Tatort entfernt wurde er festgenommen.

Der Amtsrichter hat seine Zweifel an der Version, die ihm der Angeklagte aufgetischt hat. "Zu glauben, dass in einer Nacht dasselbe Objekt gleich für zwei Einbrecher so reizvoll ist, ist schwer", überlegt er. "Es ist schon überraschend, wie verzwickt das Leben sein soll." Trotzdem sieht der Richter Chancen, dass Björn K. jetzt seinen Weg macht, und verurteilt den 41-Jährigen zu einem Jahr Freiheitsstrafe - mit Bewährung. Den Mann habe seinerzeit wohl die Erkenntnis aus der Bahn geworfen, dass er HIV-infiziert ist, zudem habe die Untersuchungshaft auf ihn Eindruck gemacht, und er habe echte Reue gezeigt. "Ich habe die Erwartung, dass Sie es packen", sagt der Richter.

Das hat sich auch Björn K. fest vorgenommen. "Die Geschichte tut mir in der Tiefe meines Herzens sehr leid", seufzt er. "Und ich habe hart an mir gearbeitet und will ein guter Mensch werden." Seine Freundin ist offenbar schon lange davon überzeugt. Tränen rinnen ihr über das Gesicht. Freudentränen darüber, dass sie ihren Freund mit nach Hause nehmen kann. Vor dem Gerichtsgebäude hält sich das Paar eng umschlungen und tauscht innige Küsse aus. Die gemeinsame Zukunft hat begonnen.