Heute vor 40 Jahren formulierten die Liberalen ihre Freiburger Thesen. Sie könnten aktuell Mahnung und Perspektive sein

Heute jährt sich die Verabschiedung der Freiburger Thesen, dem maßgeblich von Karl-Hermann Flach und Werner Maihofer entworfenen ganzheitlich-liberalen früheren Parteiprogramm der FDP, zum 40. Mal.

Damit haben die damals formulierten Ideen zwar ein gewisses gesetztes Alter erreicht, sind aber immer noch in weiten Kreisen der Bevölkerung Sinnbild für ein fortschrittliches Liberalismusverständnis.

Gerade in einer Zeit, in der der Kapitalismus in seiner aktuellen Form von vielen Menschen ebenso infrage gestellt wird wie die grundsätzliche Ausrichtung der FDP, lohnt es sich, sich mit den Hauptanliegen des Freiburger Programms auseinanderzusetzen.

Getragen war dieses von der Überzeugung, dass ein fortschrittliches Freiheitsverständnis auch darauf abzielen muss, die Gegnerschaft von Arbeit und Kapital, von Arbeiterklasse und Bürgertum zu überwinden und damit den Kapitalismus zu demokratisieren - oder zu zähmen, wie es Marion Gräfin Dönhoff einmal formulierte. Die Liberalen erkannten mit der Verabschiedung der Freiburger Thesen vor genau 40 Jahren an, dass bei allem Effizienzstreben, das durch marktwirtschaftliche Freiheiten ermöglicht und abgesichert werden muss, ein umfassendes Freiheitsverständnis nicht nur in formalen Ansprüchen und faktischen Abwehrrechten gegen den Staat, sondern auch in realen Teilhaberechten am Staat und der ihn tragenden Gesellschaft bestehen muss.

Diese sollten durch eine umfassende Demokratisierung des bestehenden politischen Systems wie auch des Wirtschaftssystems erreicht werden - Forderungen, die die FDP für einige Jahre sogar anschlussfähig in Richtung der revoltierenden Studentenschaft machten und machtpolitisch eine klare Abkehr von der langjährigen Fixierung auf die Unionsparteien als Regierungskoalitionspartner bedeuteten.

Während diese Ansätze heute in Teilen an die Programmatik der Piratenpartei erinnern, wurden andere Themen später maßgeblich von den Grünen aufgegriffen. So fand sich in den Freiburger Thesen als erstem Programm einer Partei in der bundesdeutschen Geschichte überhaupt ein Abschnitt zur Umweltpolitik.

Derzeit allerdings fehlt in Deutschland eine politische Kraft, die sich glaubwürdig auf die Fahnen geschrieben hat, wirtschaftliche, soziale und ökologische Freiheitsrechte gleichermaßen zu vertreten. Dabei ist die FDP aus ihrer wirtschaftsliberalen Ecke heraus eigentlich dafür prädestiniert, diese Rolle zu übernehmen, weil man bei ihr sicher sein könnte, dass sie bei aller aktuellen Kapitalismuskritik immer auch darauf achten würde, dass die wirtschaftlichen Freiheiten nicht so stark eingeschränkt würden, dass es wohlstandsgefährdend würde.

Die Freiburger Thesen haben dafür schon 1971 die intellektuelle Basis gelegt - jetzt, 40 Jahre später und aus ihrer größten Krise heraus, hätte die FDP mit ihrer neuen Führung, die für einen "mitfühlenden Liberalismus" steht, und vor dem Hintergrund der sich gerade zuspitzenden Diskussion über den zukünftigen Kurs der Partei die Möglichkeit, genau in diese Lücke zu stoßen.

Keine Frage, diesen Schritt erfolgreich zu gehen, wird viel Überzeugungsarbeit brauchen - innerhalb der Partei, mehr aber noch gegenüber den Wählern. "Noch eine Chance für die Liberalen", möchte man vor diesem Hintergrund mit den Worten von Karl-Hermann Flach erbitten - wohl wissend, dass es die letzte sein könnte.

In diesem Sinne sind die Freiburger Thesen an ihrem 40. Geburtstag gleichermaßen Perspektive wie auch Mahnung.

Die FDP muss sich ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung wieder stärker bewusst werden, denn Freiheit ist nicht alles - aber ohne Freiheit ist alles nichts.