Der deutsch-französische Motor stottert, weil die Chemie zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nicht stimmt

"Wir sind Freunde, weil es unsere Pflicht ist." Das klingt ja nun nicht gerade überwältigend, möchte man meinen. Andererseits ist die Politik nicht unbedingt ein Terrain, das Freundschaften befördert.

Der Pflicht-Freundschafts-Satz kommt aus Paris. Nicolas Sarkozy hat ihn formuliert, als er Angela Merkel im Mai 2008 zum Karlspreis gratulierte. Die ganze Laudatio war eher höflich als herzlich, obwohl Frankreichs Staatspräsident großzügig Vokabeln wie "Zuneigung", "Respekt" und "Bewunderung" einstreute. Richtig ehrlich klang sie erst, als Sarkozy auf Karriere-Parallelen zu sprechen kam, die er zu erkennen glaubte, denn da sprach er plötzlich von sich. Nach dem Motto, Erfolg sei immer schön, noch schöner, wenn er an den Sieg über einen Gegner geknüpft sei. "Dann", so Sarkozy schwungvoll, "bedeutet dieser Erfolg noch mehr, weil er noch mehr verdient ist!"

Nach dieser Rede wusste man, dass der neue Mann im Élysée-Palast von der deutschen Bundeskanzlerin nicht die blasseste Ahnung hatte. Obwohl er die "liebe Angela" schon duzte und beim Wiedersehen mit Bisous begrüßte, mit Küsschen links und Küsschen rechts. Sarkozy, 56, unterlag der Fehleinschätzung, die um sechs Monate ältere Merkel sei aus denselben Motiven in die Politik gegangen wie er: Um "von ganz unten ganz nach oben zu gelangen".

Tatsächlich scheint Sarkozy und Merkel nicht mehr zu verbinden als die Körpergröße. Praktisch ist man auf Augenhöhe, doch gefühlt liegen Welten zwischen der nüchtern-sachlichen Deutschen, die auch in ihrer zweiten Amtszeit noch ein einfaches Leben lebt, und dem Franzosen, der mit seinen Rolex-Uhren und Ray-Ban-Brillen ständig auf der Überholspur unterwegs ist. Das Bemerkenswerteste an Sarkozy sei seine "Unfähigkeit zur Gegenwart", hat die Schriftstellerin Yasmina Reza geschrieben, nachdem sie ihn in seinem Präsidentschaftswahlkampf ein Jahr lang begleitet hatte. Menschen wie Sarkozy seien ständig im Werden, "als hätten sie Angst vor der Zeit, die verrinnt". Menschen wie er würden nur die Zukunft kennen.

Kein Wunder, dass es zwischen Berlin und Paris in unschöner Regelmäßigkeit zu Verstimmungen kommt. Schließlich ist die Pragmatikerin im Kanzleramt, wie es aussieht, ausschließlich mit der Gegenwart beschäftigt. So sehr, dass die Ungeduld aus Sarkozy irgendwann ungebremst herausgebrochen ist. "Berlin", hat er gestöhnt, "das ist der Horror für mich." Es ist deshalb schon vorgekommen, dass Sarkozy ein Treffen mit Merkel platzen ließ, obwohl es wochenlang vorbereitet war. Damals hieß es lapidar, der "übervolle Terminkalender" hindere den Präsidenten daran, nach Deutschland zu kommen. Paris gab sich weiter keine Mühe, den Affront zu kaschieren. Das ist in Berlin unvergessen.

Seitdem gilt Sarkozy nicht nur als unberechenbar, sondern auch als unangenehm sprunghaft. Nach außen versucht man natürlich, sich nichts anmerken zu lassen. Es gibt viele schöne Bilder von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy. Von Auftritten auf roten Teppichen und unter Regenschirmen, von fotogenen Begegnungen an Nord- und Ostseestränden. Richtig warm geworden sind die beiden aber nie miteinander. Die Chemie stimmt halt nicht. Anders als früher sieht man das im restlichen Europa inzwischen mit Sorge. Vorbei die Zeiten, in denen die anderen fürchteten, Franzosen und Deutsche könnten sich politisch zu gut verstehen und die übrigen EU-Partner mit ihren bilateralen Beschlüssen überfahren. Angesichts Euro-Krise heißt es nun, Paris und Berlin müssten zum Wohle der Europäischen Union endlich an einem Strang ziehen.

Nicolas Sarkozy stellt sich im April 2012 zur Wiederwahl. Seine Chancen stehen gut, nachdem Dominique Strauss-Kahn mit der New Yorker Hotel-Affäre aus dem Rennen geworfen wurde. Angela Merkel hat (voraussichtlich) noch Zeit bis zum Herbst 2013. Die beiden werden also noch eine Weile miteinander auskommen müssen. Mit dem Satz "Wir sind Freunde, weil es unsere Pflicht ist" wird es angesichts der zu bewältigenden Probleme allerdings nicht getan sein.