Abendblatt- Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall vor Gericht.

Blankenese. Eloquente Ausdrucksweise, gepflegte Manieren, ruhige Ausstrahlung - der Mann versteht es, sich aufs Angenehmste zu präsentieren. Ein ausgeglichener, offenbar sogar ein ausgleichender Mensch. Oder täuscht das? Ist es am Ende nur eine Fassade, die Ilhan D. seinen Mitmenschen zeigt? Kann es sein, dass dieser so überlegt wirkende Hamburger, dieser Ausbund an Höflichkeit tatsächlich ausrasten kann? Was dem 39-Jährigen im Prozess vor dem Amtsgericht vorgeworfen wird, lässt eine doch facettenreichere Persönlichkeit vermuten. Denn Ilhan D. hat laut Anklage im November vergangenen Jahres "aus falschem Ehrverständnis", wie es die Staatsanwaltschaft formuliert, einen jungen Mann geschlagen und mit einer üblen Beleidigung belegt. Damit habe er den 18-Jährigen bestrafen wollen, weil der trotz vorausgegangener Warnung den Kontakt zu Ilhan D.s Nichte nicht abgebrochen hatte.

Doch den Eindruck eines in Traditionen und womöglich übermäßig ausgelegten Ehrbegriffen verhafteten Mannes möchte der Angeklagte auf keinen Fall stehen lassen. Nein, er sei vielmehr ein zu Recht besorgter Verwandter, der nur das Beste für seine Nichte möchte. Er habe lediglich wissen wollen, welchen Umgang seine Nichte pflegt, zumal sie wegen heftiger Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter zeitweise bei ihm und seiner Frau gelebt habe. Tatsächlich habe Alexander S., der Freund seiner heute 17-jährigen Nichte, auf ihn "einen ordentlichen Eindruck" gemacht, mehrfach sei er in ihrem Haus zu Gast gewesen. Doch eines Tages seien eine Uhr sowie Bargeld aus seinem Haus verschwunden. Und bei dem Treffen im November "meine ich, die vermisste Uhr an seinem Handgelenk erkannt zu haben". Er habe Alexander S. aufgefordert, ihm die Uhr zu zeigen. Das habe der verweigert, es sei zum Handgemenge gekommen. Er habe den Freund seiner Nichte jedoch weder geschlagen noch beleidigt, betont er. Er habe eigentlich nichts gegen ihn. Seine Nichte dürfe "selbstverständlich" einen Freund haben. "Uns ging es nur um ihre Sicherheit."

Doch Fatma (Name geändert) scheint sich gerade in Gegenwart ihres Onkels alles andere als sicher zu fühlen. Ein tiefer Graben scheint sich aufzutun, schier unüberbrückbare Differenzen. Ilhan D.s Nichte habe "Angst, ihm zu begegnen", zitiert der Amtsrichter aus einem Schreiben in den Akten. Sie sei in einer Therapie, weil sie "über das Geschehene nicht hinweg" komme, und befinde sich in der Zeugenbetreuung. Am liebsten möchte sie ihren Onkel überhaupt nicht mehr sehen. Keine Konfrontation, noch nicht einmal ein Seitenblick, nichts. Deshalb verlässt der Angeklagte für die Dauer ihrer Aussage den Gerichtssaal.

Doch wirklich entspannt wirkt die aparte Schülerin auch jetzt nicht. Zaghaft, schüchtern und leise schildert sie den Streit zwischen ihrem Onkel und ihrem Freund. Das eigentliche Handgemenge habe sie gar nicht mitbekommen, sagt Fatma. Alexander sei jedoch, als sie ihn wenig später traf, "hippelig" gewesen und habe gesagt: "Dein Onkel hat mich geschlagen." Ilhan D. sei ihr schon einmal bei einer Auseinandersetzung im Familienkreis "an die Kehle gegangen", erzählt die Schülerin und bricht in Tränen aus. "Da habe ich halt Angst gehabt." Und eines Tages sei ihr Onkel überraschend in einem Lokal, wo sie jobbt, aufgetaucht und habe sie vor Kollegen als "Schlampe und Hure" bezeichnet. "Er behauptete, ich hätte eine Uhr gestohlen. Aber ich habe nie etwas angefasst."

Auch ihr Freund Alexander S. versichert als Zeuge, mit einem Verschwinden irgendwelcher Wertsachen nichts zu tun zu haben. "Ich trage überhaupt keine Uhren, das kann also nicht stimmen." Tatsächlich sei es dem Angeklagten darum gegangen, Fatma den Kontakt zu verbieten. "Er sagte, er habe mir verboten, mich mit seiner Nichte zu treffen. Dann schlug er mich auf die Wange, ich hatte danach Schmerzen." Jedenfalls ist Alexander S. der Einzige, dessen Aussage im Prozess mit der von Fatma harmoniert. Ihre Mutter dagegen stützt die Angaben des Angeklagten. Bei der Rangelei zwischen Ilhan D. und dem 18-Jährigen sei es nach ihrer Überzeugung tatsächlich um eine Uhr gegangen, sagt sie aus. Und überhaupt sei Ilhan D. niemals gewalttätig gegen Fatma gewesen. "Sie ist wie ein Püppchen aufgewachsen."

Am Ende lautet das Urteil auf Freispruch. Ilhan D. habe die Beziehung seiner Nichte zu deren Freund laut übereinstimmender Aussagen "nicht nur toleriert, sondern sogar begrüßt", führt der Richter aus. "Das macht es mir schwer, das mit den Vorwürfen aus der Anklage zu kombinieren."