Verengung auf Steuersenkungen und Euro-Skeptizismus haben in die selbst verschuldete Gefangenschaft geführt

Die Liberalen befinden sich in einer selbst verschuldeten Gefangenschaft. Als mit den Stimmen der FDP die Schuldenbremse in das Grundgesetz aufgenommen wurde, war eine Steuerreform bei gleichzeitigem Haushaltsdefizit nahezu ausgeschlossen. Dies galt erst recht nach dem explosionsartigen Anstieg der Neuverschuldung in der Finanzkrise. Gleichwohl bestimmte nur die Steuerdebatte das öffentliche Erscheinungsbild. Zukunftsfragen wurden in den Hintergrund gedrängt. Eine Neujustierung auf die zentralen Herausforderungen der Schuldenkrise und der Euro-Stabilität blieb aus.

Bei Umfrageergebnissen unter fünf Prozent zeichnet sich ein interner Richtungskampf ab. Kondensationspunkt ist die Zukunft des Euro. Von dem parteiinternen "Liberalen Aufbruch" in einen Mitgliederentscheid getrieben, steht das europapolitische Erbe von Dehler, Scheel und Genscher zur Disposition. Der Mitgliederentscheid trifft die FDP in einer Orientierungskrise. Seine Initiatoren bedienen zudem einen Euro-skeptischen Mainstream, der neue Zustimmungswerte verspricht. Kern dieses Mainstreams ist die Sorge, wichtige nationalstaatliche Kompetenzen an das ungeliebte Brüssel zu verlieren. Deshalb ist die Kontroverse um den Euro eine Stellvertreterdebatte, ob Deutschland sich abschafft, wenn es zu einer Wirtschafts- und Finanzunion kommt. In dieser Debatte schwimmt die FDP. Auf der einen Seite steht ihre große außenpolitische Tradition einer konsequenten Westintegration mit dem Euro als Manifest dieses Integrationswillens. Ebenso traditionell sehen sich die Liberalen als Garanten für weniger Staat und Hüter eines föderalen Wettbewerbs eigenverantwortlicher Regionen. An dieser Stelle infiziert sie der Euro-Skeptizismus. Denn der Euro hat einen zentralen Konstruktionsfehler. Um ihn politisch durchzusetzen, wurde auf eine europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik verzichtet. Ersatzkonstrukt ist das Verbot, fremde Staatsschulden zu übernehmen. Dieses Konzept ist gescheitert. Es muss neu justiert werden.

Die FDP wird diese Kontroverse erfolgreich bestehen, wenn sie ihr Verhältnis zum Staat neu ordnet. Das verlangt einen Blick auf die Steuerdebatte, denn hinter dem Entlastungsversprechen steht der Wunsch nach weniger Staat. Die Wirklichkeit ist eine andere. Nach dem Crash von Lehman Brothers war ein starker Staat als Retter überforderter Märkte gefragt. Diverse Rettungsschirme verhinderten einen Kollaps. Konjunkturprogramme milderten die Folgen der Rezession. Die den Finanzjongleuren drohenden Verluste wurden sozialisiert. Sie sind ein Teil der heutigen Staatsdefizite, auch wenn die Staatsschuldenkrise zugleich nationalstaatliche Versäumnisse offenbart.

Zu dieser Wirklichkeit passt kein schwacher Staat. Vielmehr setzt eine erfolgreiche Restrukturierung der öffentlichen Haushalte in doppelter Hinsicht einen starken Staat voraus. Er benötigt seine Einnahmen zur Konsolidierung der eigenen Finanzen. Zugleich muss er die Kraft aufbringen, Kompetenzen abzugeben. Dazu gehört am Ende eine integrierte europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik ebenso wie die Insolvenz eines Staates. Nur so lässt sich der zentrale Geburtsfehler der Gemeinschaftswährung korrigieren.

Für die FDP ist dies mit einem Bekenntnis zu einem starken Staat, zu mehr Europa verbunden. Nur so kommt die FDP aus ihrer selbst verschuldeten Gefangenschaft heraus. Ein Euro-Skeptizismus in der Prägung des Liberalen Aufbruchs führt weg von Europa, weg aus der Mitte und hin zu den Rändern. Dort war die FDP nie zu Hause.