Eine Würdigung von Joachim Mischke

Manche Dichter und Denker sind ihrer Zeit gedanklich dermaßen weit voraus, dass man erst lange, nachdem ihre körperliche Zeit abgelaufen ist, weiß wie weit eigentlich. Friedrich Schiller ist eine dieser visionären Geistesgrößen. Komplett neu dürfte das den Stammlesern dieser Seiten nicht mehr sein. Doch wer ahnt schon, dass der Mann mit der Glocke und der Locke mit seiner "Ode an die Freude" geradezu ideal in das konjunkturpolitische Drunter und Drüber dieser Tage passt?

Knapp eine Woche noch hat die griechische Mängelverwaltung, pardon: Regierung noch Zeit, um Geld für eine Auktion in Basel zusammenzukratzen, bei der sie ein visionäres Dokument der europäischen Finanzpolitik ersteigern könnte.

Unter den Hammer kommt dort, von Schiller eigenhändig zu Papier gebracht, eine Abschrift der fünf letzten Strophen seiner "Ode an die Freude". 150 000 Euro als Startgebot? Das ist - nicht nur für Schweizer Verhältnisse - ein echtes Schnäppchen. Ein Klacks. Peanuts, würde der Finanz-Titan Hilmar Kopper fröhlich kommentieren.

Aber zurück zum Thema. Ludwig van Beethoven hat dieses Gedicht von einem Gedicht sehr ordentlich vertont, die Melodie ist immerhin auch zur Europahymne befördert worden. Allgemein bekannt ist eine Textzeile aus der zweiten Strophe: "Seid umschlungen, Millionen!", und mit "um" raus und "ver" rein wäre man auch schon mittendrin in der hellenischen Misere. Nicht nur unser Finanzminister könnte davon ein Lied singen.

Dass die arg gebeutelten Griechen oder diverse Bankchefs anderer europäischer Länder das gerade jetzt nicht so recht hören mögen, ist menschlich durchaus verständlich. Doch gerade für sie wäre der Schiller-Autograf ein Riesentrost, sein Ankauf - Ratenzahlung dürfte ihnen eher nicht gewährt werden - eine Investition in die Vision einer quasi wieder goldenen Zukunft. Warum? Anders als in der gedruckten Fassung, in der von "Schuldbuch" die Rede ist, steht in diesem Autografen nämlich: "Jeder Schuldschein sei zernichtet/ ausgesöhnt die ganze Welt."