Zwischen grau verhangenen und goldenen Tagen, fallenden Blättern und sinkenden Temperaturen. Unmissverständlich gibt die Natur in diesen Tagen zu erkennen, wovon es Abschied zu nehmen gilt. Mancher versucht da, dem Jahr noch etwas Sommer anzuhängen. Doch unabwendbar bleibt der Wechsel der Zeiten.

"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr." Rainer Marias Rilkes berühmter "Herbsttag", in dem er eindrucksvoll schildert, wie ein Mensch einsam und heimatlos durch herbstlich zugige Straßen streunt, nährt Melancholie und Wehmut. Wer sich mit dieser von Abschied geprägten Jahreszeit schwertut, wird wohl anderen Trost brauchen als diesen.

Dabei steckt doch so viel Anfang und Neubeginn im Herbst! Kinder haben dafür oft ein gutes Gespür, manchmal auch ein verblüffendes und beneidenswert wetterunabhängiges sonniges Gemüt. So schwärmte mir diese Woche ein Mädchen vor, wie sehr sie sich schon aufs Keksebacken freut!

"Alles hat seine Zeit." So heißt es in einem der ältesten Gedichte der Bibel. In vielen Gegensatzpaaren wird im dritten Kapitel des Buches "Prediger" beschrieben, wie unterschiedlich die Zeiten geprägt sind, die unser Leben bestimmen: Die Geburt hat ihre Zeit, und das Sterben hat seine Zeit. Lachen hat seine Zeit, und Weinen hat seine Zeit. Das Pflanzen hat seine Zeit, und das Ausreißen dessen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit.

Das biblische Gedicht macht spürbar: Keine Zeit ist von Dauer, jede hat ihre Berechtigung, ihren Schmerz wie ihre Schönheit. Was wohl für mich gerade jetzt an der Zeit ist? Zu welchem äußerlichen, aber auch innerlichen Zeitenwechsel kann der Herbst mich ermutigen? Welche Zeit hat für uns gerade angefangen, und was liegt ganz speziell für mich an?

Vielleicht ist es das lange aufgeschobene Fertigstricken der Socke für die Tochter oder das Einkleben der Fotos vom Sommer. Vielleicht aber muss ich mich auch endlich trauen, das anzugehen, was schmerzt; in mich hineinzuhorchen, was in mir fallen und sacken will wie das Laub der Bäume. Vielleicht kann es so gelingen, dass sich Gefühle und Erfahrungen in mir legen und beruhigen, die der Sommer mich sammeln ließ.

Alles hat seine Zeit, und alles hat einen Grund, der uns durch die Zeiten trägt: "Herr, dir in die Hände / sei Anfang und Ende / sei alles gelegt!" (Eduard Mörike).

astrid.kleist@gmx.de