Der Kontinent verfügt schon jetzt über eine einzigartige Bildungslandschaft. Ihre Potenziale gilt es für die Zukunft zu bündeln

Europa kann mehr sein. Mehr jedenfalls als Reisefreiheit, Euro und vielleicht einmal eine europäische Armee. Peter Glotz, sozialdemokratischer Intellektueller und europäischer Vordenker, hat hierzu schon vor 20 Jahren dekretiert: Die Bildung der Zukunft muss humanistisch, ökologisch und europäisch sein. Humanistisch, um die Wiedergänger von Biologismus und Chauvinismus zurückzudrängen. Ökologisch, weil Nachhaltigkeit die Überlebensfrage im 21. Jahrhundert ist. Und europäisch, weil darin in historisch einmaliger Weise Vielfalt und Reichtum an Sprachen, Wissen und Ideen, Kulturen und politischen Systemen gebündelt sind. Den Hochschulen kommt in diesem Prozess der Orientierung auf die europäische Qualität von Bildung eine besondere Bedeutung zu. Hochschulen sind Ferment für die Zukunft.

Die Jahrhundertreform des Bologna-Prozesses wurde durch die europäischen Bildungsminister 1999 nach der ältesten europäischen Universität aus dem Jahr 1119 benannt. Darin liegt eine Verpflichtung auf geistige Qualität. Zumal rein quantitativ im "Bologna-Prozess" mit jetzt 47 Staaten, mehr als 10 000 Hochschulen, über 2,2 Millionen Hochschullehrern und mehr als 32 Millionen Studierenden ein Hochschulraum entstanden ist, den es weltweit kein zweites Mal gibt. Sind wir uns dieses einmaligen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Reichtums in Europa eigentlich hinreichend bewusst? Oder erschöpfen wir uns im technokratischen Unterholz von Workloads, Punkten und Mobilitätsfenstern? Dabei darf es nicht bleiben. Die Perspektive einer europäischen Hochschule muss gerade jetzt eröffnet werden, wo Europa seinen Daseinszweck vorrangig in der Bewältigung von Finanzkrisen zu finden scheint.

Schon die Diskussion um ein europäisches Kern-Curriculum für die Hochschulen als Teil eines interkulturellen Studiums würde ein Fortschritt sein. Dieser Nukleus für die europäische Bildungsidee ist in einem Verbund der Hochschulen unter Beteiligung der europäischen Staatengemeinschaft als Blaupause für ein europäisches Studium generale zu entwickeln. Zugleich wird ein Gütesiegel für die Europa-Hochschule der Zukunft erarbeitet, ausgewiesen durch eine besondere Intensität von europäischer Zusammenarbeit, Mobilität und Mehrsprachigkeit.

Die Stärke und Lebendigkeit der europäischen Idee wachsen mit dem Europa-Bewusstsein der Europäer. Deutlich mehr Professoren müssen ein längerfristiges, nachhaltig wirkendes Engagement an mehreren europäischen Universitäten nachweisen können. Albert Einstein steht für diese "Europa-Professoren" als universell bekannter Namenspatron bereit. Die wechselseitige Anerkennung von Qualifikationen und Anstellungsverträgen müssen zügig geregelt werden.

Europäisierung und Internationalisierung stellen sich durch die unmittelbare persönliche Erfahrung her. Deshalb muss der Anteil an Personen aus Forschung, Lehre und Hochschulmanagement, der aus Europa kommt, in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 30 Prozent angehoben werden. Und in zehn Jahren sollte erreicht sein, dass alle Studierenden in Europa einen Teil ihres Studiums im europäischen Ausland oder darüber hinaus absolvieren. Für das europäische Bildungsprogramm ERASMUS, dessen Jahresbudget bei 450 Millionen Euro liegt und das mehr als 4000 Hochschuleinrichtungen in mehr als 31 Ländern in Europa umfasst, kann die Europäische Kommission mit einer Verdoppelung der Mittel ein klares Zeichen setzen.