Ein Beobachtung von Annette Stiekele

Es gehört ja fast schon zum guten Ton: In Zeiten unendlich verfügbaren Online-Wissens schreibt und schaut jeder bei jedem ab. Man darf sich eben nur nicht erwischen lassen.

Den Vorwurf des Abkupferns muss sich derzeit die sagenhaft erfolgreiche Königin des Lametta-Souls, US-Sängerin Beyoncé, gefallen lassen. Im Musikvideo zur aktuellen Single "Countdown" kreisen, recken und werfen sich die sonst nur powackelnden Begleittänzerinnen in einer Weise, die die belgische Choreografin und derzeit bedeutendste Tanzerneuerin Europas, Anne Teresa De Keersmaeker, staunen ließ, identifizierte sie die Bewegungen doch eindeutig als Bestandteile ihrer Arbeiten "Achterland" und "Rosas Danst Rosas". De Keersmaeker ist über diesen Raub geistigen Eigentums wenig amüsiert, hat bereits einen Anwalt konsultiert.

Gut, heute ist beinahe jede Popkunst eklektisch. Vorhandes Material in neue Kontexte zu setzen, ist Bestandteil der Postmoderne. Dennoch wirkt es beinahe zynisch, dass Beyoncé ohne einen Anflug von Reue verkündet, die zwei Millionen Video-Zuschauer wären mehr, als De Keersmaeker jemals mit Tourneen erreichen würde. Ja. Wenn sie die Urheberschaft denn kenntlich gemacht hätte. Die Choreografin, bekannt für scharfe Gedanken und eine ebensolche Zunge, schlägt auf ihre Art zurück. Nein, sie fühle sich nicht geehrt und habe gesehen, wie Schulkinder das Stück wesentlich schöner tanzten.