Eine Anhebung der Spitzensätze sollte Investitionen finanzieren, fordert Ver.di-Chef Wolfgang Rose

Endlich ist Bewegung in die Debatte um gerechtere Steuern gekommen: Wurden Forderungen nach Vermögenssteuer und höheren Spitzensteuersätzen lange Zeit als "Neiddebatten" verleumdet, sind es nun immer mehr Reiche selbst, die öffentlich einfordern, stärker zur Kasse gebeten zu werden, um die Drift der sozialen Spaltung zu stoppen.

Ob Superreiche in den USA, Millionäre in Frankreich oder jetzt auch deutsche Spitzenvermögende wie Michael Otto: Sie wollen mehr abgeben, denn sie wurden in den letzten Jahren massiv bevorteilt. Schon seit 2009 fordern 50 deutsche Millionäre in der Initiative "Vermögende für eine Vermögensabgabe" die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und sogar eine zeitlich begrenzte höhere Sonderabgabe.

Dafür ist es höchste Zeit. Während die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Steuern, Abgaben, Vorsorgelasten und Lebenshaltungskosten unter dem Strich höher sind als früher, wurden die Vermögensbesitzer und Bezieher hoher Einkommen seit den 90er-Jahren massiv begünstigt. Der Spitzensteuersatz für Einkommen sank von 56 Prozent unter Helmut Kohl (CDU, wohlgemerkt) auf heute 42 Prozent (für Reiche mit mehr als 250 000 Euro Jahreseinkommen: 45 Prozent). Während dieser Steuersatz bis 2009 auch für Kapitaleinkünfte galt, werden diese heute nur noch mit25 Prozent "Abgeltungssteuer" belegt. Während bis 1997 ein Prozent Vermögenssteuer auf Vermögen über 500 000 Euro fällig waren, wird sie seitdem nicht mehr erhoben; und die Körperschaftssteuer für Unternehmen wurde von vormals 25 auf 15 Prozent gesenkt.

Die Initiativen der Reichen für höhere Steuern sind lobenswert. Was jetzt nicht passieren darf: die Steuerarten in Gut und Böse zu unterteilen, sie gegeneinander auszuspielen oder ihre Verwendung an bestimmte Zwecke zu binden. Michael Otto will zwar gern einen höheren Spitzensteuersatz zahlen, aber keine Vermögenssteuer.

Doch notwendig ist beides gleichermaßen: Bei der Einkommenssteuer sind es die mittleren Einkommen, die den (auch relativ) höchsten Beitrag leisten, nicht die hohen. Dies muss dringend korrigiert werden. Und bei der Vermögenssteuer geht es darum, dass die Besitzer hoher Privatvermögen zumindest einen kleinen Teil ihrer Extragewinne wieder an die Allgemeinheit zurückgeben. Nicht nur Vermögensbesitzer sind gesellschaftliche "Leistungsträger": Jede Erzieherin oder Pflegekraft leistet Enormes, wird aber aus dieser für das Gemeinwohl so wichtigen Arbeit niemals ein Vermögen bilden können.

Was wir brauchen, ist Steuergerechtigkeit in zwei Richtungen: Zum einen eine gerechtere Lastenverteilung zwischen niedrigen und hohen Einkommen, zwischen Arbeitnehmern und Vermögensbesitzern. Und zum anderen eine gerechtere Verteilung zwischen privatem Reichtum und öffentlichem Gemeinwohl: Wenn der Staat seine Aufgaben so leisten können soll, dass die für eine moderne und solidarische Gesellschaft angemessenen Dienst- und Infrastrukturleistungen für alle erbracht werden, dann muss er auskömmlich finanziert werden.

Daher ist es auch ein falscher Zungenschlag, wenn Marius Müller-Westernhagen ebenso wie SAP-Gründer und Multimilliardär Dietmar Hopp ihre Bereitschaft zu höheren Steuern mit der Forderung verknüpfen, die Mehreinnahmen dürften ausschließlich zur Schuldentilgung verwendet werden. Dies ist erstens in der Sache falsch, denn die höheren Steuereinnahmen sind gerade deshalb wichtig, um die notwendigen öffentlichen Aufgaben und Investitionen trotz hoher Ausgaben für die Schuldentilgung leisten zu können. Zweitens zeigen diese Zweckbestimmungsdiktate ein falsches Selbstverständnis in der obersten Einkommensgruppe: Ihre Steuern sind ja keine milden Gaben, über deren Verwendung sie selbst entscheiden. Die Steuern sind der gerechte, am Leistungsvermögen orientierte Beitrag aller zur gemeinsamen Gesellschaft. Über ihre Verwendung entscheiden alle gemeinsam - nämlich demokratisch - nicht Einzelne, nur weil sie besonders viel zahlen. Eine demokratische Gesellschaft braucht gerechte und ausreichende Steuern - sonst wird sie zur Sponsorenrepublik, abhängig von der Willkür der Wohlhabenden.