Sehr groß war er nicht, der Zaun. Zudem versperrte er nur auf der einen Seite der Brücke über die Helgoländer Allee den Obdachlosen den Zugang zu ihrem gewohnten Schlafplatz. Und dennoch war dieser Zaun ein großes Ereignis, das zumindest in Hamburg für ordentlichen Wirbel gesorgt hat. Schon beim morgendlichen Gang mit meinem Hund sprachen mich zwei entrüstete Jugendliche unserer Gemeinde auf ihrem Schulweg an: "Da müssen wir etwas tun! Es kann doch nicht sein, dass Obdachlose ausgesperrt und verjagt werden. Die Kirche muss reagieren."

Aber noch ehe ich mir den Zaun mit eigenen Augen ansehen konnte, hatte sich schon eine bemerkenswerte Protestwelle in Hamburg formiert. Man mag uns Hamburger und Hamburgerinnen Pfeffersäcke schimpfen, aber genau diese haben häufig doch ein gutes Gespür für eine würdevolle Gesellschaft, in der auch die Ärmsten ein Recht auf selbstbestimmtes Leben haben. Schon vor vielen Jahren wehte dem Senat, als er die Bettler aus der Innenstadt vertreiben wollte, so starker Gegenwind entgegen, dass der Erlass ganz schnell wieder zurückgenommen wurde. Ich hätte mir gewünscht, der Bezirk Mitte wäre aus diesen Erfahrungen klug geworden, aber manche können eben nur die eigenen zu Rate ziehen. Aber wie auch immer - über jede Form von Einsicht und Lernfähigkeit in der Politik freuen sich nicht nur die Obdachlosen.

Wenn die Entscheidungsträger aus dem Bezirk Mitte die Bibel lesen, können sie nachlesen: Wo immer eine Gesellschaft die Witwen und Waisen, die Kranken und Armen ausgrenzen wollte, begann deren Niedergang. Das hat auch Jesus erkannt. Seine Weisheit beschränkt sich ja nicht allein auf Gleichnis-Reden und Wunderheilungen, sondern er hat sehr schlicht dafür gesorgt, dass die Menschen, die vor die Tore der Stadt gejagt wurden, wieder in die Gesellschaft aufgenommen wurden - seien es Aussätzige, Lahme, Blinde oder sogar die verhassten römischen Zöllner. Er wusste: Integration ist Heilung.

Es hilft nicht, Menschen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu verbannen. Vielmehr ist dafür zu sorgen, dass jeder Mensch ein würdevolles Leben führen kann. Ein erster Schritt dazu wäre - auch das lässt sich von Jesus lernen -, den Lebensstil anderer Menschen erst einmal zu akzeptieren.

pastor.brandi@gemeinde-altona-ost.de