Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage: Thomas Drach wollte offenbar seinen Bruder entführen lassen. Bald endet seine Freiheitsstrafe.

Neustadt. Thomas Drach, Drahtzieher der Entführung des Multimillionärs Jan Philipp Reemtsma und nach Ansicht von Ermittlern einer der gefährlichsten Häftlinge, die derzeit in Hamburger Haftanstalten einsitzen, steht kommende Woche erstmals seit fünf Jahren wieder vor Gericht. Der mittlerweile 51 Jahre alte Häftling, dessen mehr als 14-jährige Freiheitsstrafe am 21. Juli 2012 endet, soll in Briefen aus dem Gefängnis versucht haben, einen Freund zu einer neuerlichen Erpressung anzustiften. Opfer sollte diesmal kein prominenter Ehrenmann sein. Drach wollte, so glaubt die Staatsanwaltschaft, seinen eigenen Bruder ins Ausland verschleppen lassen.

Es ist ein Fall mit einer ebenso langen wie spektakulären Vorgeschichte, ein Prozess, dem eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der deutschen Kriminalhistorie zugrunde liegt: Am 25. März 1996 hatten Drach und zwei von ihm instruierte Helfer den Millionär und Mäzen Jan Philipp Reemtsma auf dessen Grundstück in Blankenese entführt und in einen Keller bei Garlstedt nahe Osterholz-Scharmbeck gesperrt. Nach 33-tägiger Gefangenschaft und für Familie und Ermittler zermürbender Kommunikation sowie der Zahlung des geforderten Lösegeldes ließen die Entführer um den schon damals mehrfach vorbestraften Drach den Millionenerben frei. Die Familie hatte 15 Millionen Mark und 12,5 Millionen Schweizer Franken an die Peiniger des Sozialwissenschaftlers überbringen lassen. Geld, das größtenteils nach wie vor verschwunden ist, auch wenn die Kripo nach und nach alle Beteiligten verhaftete und Gerichte langjährige Haftstrafen aussprachen. Auch Thomas Drachs jüngerer Bruder war in diesem Zusammenhang verurteilt worden - wegen Beteiligung an der Lösegeldwäsche. Die längste Haft, nämlich 14 Jahre und sechs Monate, hatte erwartungsgemäß der Kopf der Bande, Thomas Drach, anzutreten.

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Das "Superhirn", wie er einst in Verbrecherkreisen genannt wurde, beschlich nach Jahren in verschiedenen Gefängnissen offenbar die Sorge, seine Ex-Komplizen, allen voran der Bruder, könnten zwischenzeitlich seine "Altersvorsorge verjubeln". Als solche sieht Drach die Reemtsma-Millionen offenbar nach wie vor an.

Also beschloss Thomas Drach zu handeln: Im Februar 2009, drei Monate vor dem Ende der Haftzeit seines Bruders, schrieb er aus dem Gefängnis in Billwerder einen Brief an seinen Freund und Weggefährten M. Darin philosophiert er über das bevorstehende Ende der Haftzeit seines Bruders. Und die Sicherheit "seiner" Reemtsma-Millionen. Sinngemäß empfiehlt er M., sich einen Komplizen zu suchen und mit diesem gemeinsam seinen Bruder bei der Entlassung am Gefängnistor abzuholen. Dann, so sinniert der Briefschreiber, könne man mit ihm eine überraschende Reise ins Ausland unternehmen, nach Spanien zum Beispiel. Die gemeinsame Mutter sollte von all dem besser nichts mitbekommen. In Spanien angekommen, so schrieb Drach nach Abendblatt-Informationen weiter, sollte man von seinem Bruder mit deutlichem Nachdruck 30 Millionen Euro verlangen. Schließlich würden ihm, Thomas Drach, die verbleibenden Reemtsma-Millionen zustehen. Seinem Bruder wirft er vor, das vor dem Zugriff der Behörden nach wie vor verborgene Geld "zweckentfremdet" auszugeben und zu verschwenden.

Die Schreiben sind in reichlich verschnörkeltem Deutsch abgefasst. Hoffte Drach, die Vollzugsbeamten in der JVA Billwerder würden bei der Briefkontrolle nicht bemerken, dass er ein neuerliches Verbrechen plante? Davon geht die Staatsanwaltschaft Hamburg aus. Sprecher Wilhelm Möllers sagt: "Wir ermitteln wegen versuchter Anstiftung zu einer räuberischen Erpressung. Er hat in mindestens zwei Briefen Pläne geschmiedet, seinem Bruder Geld abnehmen zu lassen. Das ist eine eindeutig strafbare Handlung, von der wir glauben, dass sie mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden sein wird. Schließlich ist Drach einschlägig vorbestraft."

Die Briefe könnten also die Entlassung Drachs im Sommer 2012 gefährden. Dann hat der Entführer die vom Hamburger Landgericht im Fall Reemtsma verhängten 14 Jahre und sechs Monate Jahre abgesessen. Gutachter befürchten, dass der Gewohnheitsverbrecher danach kaum in ein geregeltes Leben finden könne, wenn er in die Freiheit entlassen würde.

Der 51-Jährige gilt als weitgehend untherapierbar, ihm fehle jedes Unrechtsbewusstsein, sagen Experten. Schon die Tatsache, dass er sich beharrlich weigere zu sagen, wo die restlichen Lösegeld-Millionen liegen, würde dagegen sprechen, ihn von der Resthaft zu verschonen, sagt Oberstaatsanwalt Möllers. Die zuständigen Gerichte hätten entsprechende Anträge folglich immer abgelehnt.

Außerdem hatte Drach in der Vergangenheit gleich mehrfach versucht, Vollstreckungsbeamte zu verletzen. Im Jahr 2004 - Drach saß damals noch in "Santa Fu" - legte er aus Protest gegen seine Haftbedingungen einen dreiwöchigen Hungerstreik ein. Mehrfach waren auch während der Haftzeit Urteile gegen ihn gesprochen worden, zuletzt im Jahr 2006. Weil das "Superhirn" offenbar auch immer wieder Ausbruchspläne geschmiedet hatte und weil die Justiz vermeiden wollte, dass Drach all zu enge Kontakte in den Anstalten knüpft, war er mehrfach in andere Gefängnisse verlegt worden.

Der Prozess wird nach Abendblatt-Informationen unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden. Gerichtssprecherin Ruth Hütteroth: "Ich gehe davon aus, dass geeignete Sicherungsmaßnahmen getroffen werden." Verhandelt wird im Saal 288, der über Trennscheiben und separate Zugänge mit Metalldetektoren verfügt. Auch das Mobile Einsatzkommando (MEK) der Polizei ist offenbar in die Vorbereitungen auf die fünf zunächst anberaumten Prozesstage eingebunden.