Zum Abschluss unserer Serie “Die lieben Nachbarn“ stellen wir Ihnen die schönsten Geschichten der Abendblatt-Leser vor.

Tante Annis Hilfsgeister

Hamburg. Als ich sie mit Mitte 30 in einer Kirche kennenlernte, stand sie vor ihrem 80. Geburtstag. Kurz darauf zog ich in ein kleines Reihenhaus und stellte fest, dass sie nur drei Türen von mir entfernt wohnte. Ihr Garten blühte in den schönsten Farben. Fast jeden Tag hatte sie darin zu tun und ihre Freude daran. Immer gab sie mir mit faltenreichem Lächeln das Gefühl, gerade jetzt, gerade hier, gerade ihr besonders willkommen zu sein.

Ich weiß gar nicht, wann ich angefangen habe, sie Tante Anni zu nennen. Ich besuchte sie regelmäßig, bewunderte ihre Blumen, ihre Koch- und Backkünste, ihre sehr alte Küche. Sie liebte ihre Orchideensammlung, die sie mit der gleichen Hingabe pflegte wie ihr ganzes Leben. Jedes Mal schien es mir, als tauchte ich in eine andere Welt, als verginge die Zeit in ihrem Haus langsamer. Ich arbeitete zu dieser Zeit in einer Werbeagentur. "Du arbeitest zu viel, meine Liebe", begrüßte sie mich häufig, wenn ich zu einem Tässchen Tee hereinschaute oder sie zum Markt abholte. Dann lächelte ich nur müde zurück.

Eines Tages schaffte ich es, ein wenig eher nach Hause zu kommen. Ich war trotzdem müde; zu müde, mich dem Haushalt oder irgendeiner anderen Aufgabe zu widmen, die mich geradezu ansprang. Ich ignorierte es und ging zu Tante Anni. Perfekt. Tante Anni erzählte. "Sag mal, Tante Anni ..." Die plötzliche Unterbrechung ließ sie innehalten. "Was denn, meine Liebe?" "Sag mal, wie machst du das eigentlich? Wann immer ich zu dir komme, ist dein Haus total sauber. Noch nie habe ich etwas herumliegen sehen, noch nie war Staub auf deinen Schränken. Dein Herd ist immer blank geputzt, genauso wie der Boden. Ja, selbst die kleinen Abschlussleisten an der Treppe nach oben. Im Bad liegt die Bürste immer am gleichen Platz, alles ist tipptopp." Es war mir ein Rätsel. Gut, sie hatte mehr Zeit, aber sie war mehr als doppelt so alt wie ich. Dann beugte sie sich zu mir. "Möchtest du das wissen, wie ich das mache?" Ich nickte. In dem Moment, als sie sich zurücklehnte, verkörperte sie die gesamte Weisheit und Gelassenheit ihres langen Lebens. "Ach, weißt du, ich habe mein Leben lang drei Hilfsgeister gehabt. Und wann immer ich Hilfe brauchte, um das zu schaffen, was zu tun war, dann habe ich sie gerufen." "Ach so." Und dachte schade, sie wird doch ein wenig tüdelig. Dass ich das nie bemerkt hatte. Sie sah mich an. Sie sah, was ich dachte. Grinste. "Soll ich dir verraten, wie sie heißen? Es könnte sein, dass du sie brauchst. Dann kannst du sie auch rufen." Ich nickte ohne Überzeugung. Wieder beugte sie sich vor. "Merk dir die Namen gut. Sie kommen sofort, wenn du sie rufst. Die drei Hilfsgeister heißen: Tu es gern. Tu es gleich. Tu es ganz." Ich sah sie. Lange. Wie hatte ich nur eine Sekunde annehmen können, sie sei alt? Jetzt lächelte ich. "Danke."

Seit diesem Gespräch gab es noch viele Besuche und Tee bei Tante Anni. Seit Kurzem bewohnen wir das Haus hinter ihrem. Wieder sitzen wir beide regelmäßig in ihrem prächtig blühenden Garten, wieder fahren wir zum Markt oder sehen uns gemeinsam Fotos an. Viele Jahre sind vergangen. Inzwischen hat Tante Anni mir viele ihrer Tipps verraten. Von ihr lerne ich, das Leben mit allen Facetten anzunehmen; sich nicht vor dem Alter und dem Tod zu fürchten; was es bedeutet, das Leben mehr und mehr loszulassen. Und dass Denken wirklich Danken heißt.

Petra Albersmann, Lokstedt

Zerbrochene Fliese, ewige Freundschaft

Seit ewiger Zeit lebe ich Tür an Tür mit Frau U. Doch es gab weder Anlass noch einen angemessenen Vorwand, die hübsche Türkin anzusprechen. Vorletztes Jahr tat sie es: Bat mich, ihr beim Einweisen in die Parklücke zu helfen. Zum Dank für meine Heldentat wurde ich zum Kaffee in ihre Wohnung eingeladen. Bis dahin war die Stimmung gut. Das änderte sich allerdings, als ich ihre Wohnung bewunderte, sie dabei aber wissen ließ, dass es sehr schade sei mit der gebrochenen Fliese im Bad. Frau U. runzelte irritiert die Stirn und fragte, wie ich das denn wissen könne, da ich ihr Bad doch noch gar nicht betreten habe. "Das stimmt nicht ganz", korrigierte ich sie und erklärte ihr, dass ich vor einiger Zeit durch zufälliges Herumprobieren herausgefunden hatte, dass mein Wohnungsschlüssel auch für ihr Schloss passt. Und dass ich mir dann manchmal, wenn sie zur Arbeit gegangen war, ein paar CDs ausgeliehen hatte. "Du hast was?", fuhr sie mich an. Ihre Gesichtsfarbe war mittlerweile wie ein türkischer Sonnenuntergang. Da die Stimmung auszuufern drohte, löste ich das Rätsel auf: "In Wirklichkeit war ich dein Vorvormieter. Das Parkett, auf dem du stehst, hatte ich damals mit meinem Vater gelegt. Und die Fliese ist mir damals zerbrochen, als mir ein Werkzeug runtergefallen war. Ich habe einfach geraten, dass die noch nicht ausgetauscht wurde. Vor zehn Jahren bin ich dann ein Stockwerk höher gezogen. Natürlich hab ich keinen Schlüssel, der in dein Schloss passt." Ich spürte, wie sich bei Frau U. Erleichterung breitmachte. Die Anspannung und die darauf folgende Auflösung brachte uns näher zusammen als alle zähen Fragen wie: Was arbeitest du denn so? Hast du einen Freund? Seit dieser Zeit ist sie mir eine herzliebe Freundin geworden. Leider wohnt sie jetzt nicht mehr in der Kurvenstraße in Wandsbek, sondern ist nach Eimsbüttel gezogen. Mittlerweile wohnt jetzt mein Vater in ihrer Wohnung. Und wenn ich wieder ein paar CDs leihen will - dann fahre ich einfach nach Eimsbüttel.

Stefan Kraschon, Wandsbek

Der beste Schutz gegen Einbrecher

Es war im Frühling. Erst vor Kurzem war ich mit meinem Vater in den Traum meines Lebens - ein eigenes Häuschen, genauer gesagt in eine Doppelhaushälfte in einer stillen kleinen Straße im Westen Hamburgs - eingezogen. Monatelang hatte ich mich mit Handwerkern herumgeschlagen und stellte nun zum ersten Mal fest, dass ein Garten nicht nur wunderschön ist, sondern auch Arbeit erfordert. Und was für welche! Er schrie geradezu um Hilfe. Außerdem hatte ich nach gerade bestandener Fahrprüfung einen kleinen, roten gebrauchten DAF erstanden, der stolz vor meinem Grundstück parkte. Umgang mit den neuen Nachbarn? Da konnte ich nur noch lachen - keine Zeit!Eines Tages blickte mein Vater zufällig aus dem Fenster. Ein lauter Ruf brachte mich sofort an seine Seite. "Was ist los?" "Da macht sich gerade jemand an deinem Auto zu schaffen!" Ich sauste nach draußen. Tatsächlich: Da kniete jemand auf der Straße vor meinem Auto und fingerte mit einem kleinen Gegenstand herum. Ruhig bleiben, war mein erster Gedanke. Die Straße war menschenleer, und der Mann sah ziemlich kräftig aus. Dagegen hätte ich keine Chance! So fragte ich, mühsam beherrscht und mit einem kleinen Zittern in der Stimme: "Was tun Sie denn da?" Er stand auf, bot mir die Hand an und lächelte: "Ich bin Ihr Nachbar von gegenüber und hatte eine kleine Roststelle im Lack Ihres Autos gesehen. Die habe ich soeben ausgebessert - ich hatte noch einen Rest von rotem Autolack übrig."

Kein Wunder, dass wir Freunde wurden. Und das war erst der Anfang. Weitere Nachbarn verwandelten sich in Freunde. Und so ist es durch über 40 Jahre geblieben. Man besucht sich gegenseitig "auf einen Sprung", hilft sich in jeglicher Hinsicht, lädt zu Feier- und Geburtstagen und anderen Geselligkeiten ein und kümmert sich im Urlaub um Haus, Blumen und Post. Und alles ganz selbstverständlich. Man weiß: Auf seine Nachbarn kann man sich verlassen.

Mit einem Versicherungsvertreter besprach ich einmal Sicherheitsmaßnahmen gegen Einbrüche. "Nachbarn", meinte er, "sind immer noch der beste Einbruchsschutz." Das ist wahr. Ich liebe meine Nachbarn!

Ingrid Starke, Groß Flottbek

Tattoo im Rasen

Vor zwei Jahren hatten wir Silberhochzeit und haben eine Kreuzfahrt nach Norwegen unternommen. Es war traumhaft schön, und wir hatten so gar keine Lust, nach Hause zu fahren. Aber irgendwann hat alles mal ein Ende, und wir kamen nach Hause, und auf dem ersten Blick war alles wie immer. Als ich in dem Obergeschoss die Fenster zum Lüften öffnen wollte, traute ich meinen Augen nicht und rief meinen Mann, er solle schnell kommen. Ein ganz großes Herz mit einer 25 drin war im Rasen zu sehen. Unglaublich!

Unsere Nachbarn hatten während unserer Abwesenheit ein Seil in Herzform auf den Rasen gelegt und ein Seil in Form einer 25. Dann haben sie diese Stellen jeden Tag gedüngt und gegossen. Somit kam das Herz mit der 25 zum Vorschein. Das war so schön, und wir hatten noch Monate dieses gewisse Tattoo im Rasen sichtbar. Die Silberhochzeit haben wir dann natürlich noch mit unseren Nachbarn gefeiert.

Ute & Werner Reuter, Thesdorf

Loch im Zaun

Vor 25 Jahren bauten wir unser Haus, und unsere neuen Nachbarn haben uns wie selbstverständlich während der Bauphase mit Strom und auch mit Wasser versorgt. In den nachfolgenden Jahren entwickelte sich eine schöne Freundschaft. Da wir ein "Loch" im Zaun gelassen hatten, konnte jeder mal zum anderen rübergehen, ohne sich groß anzumelden. Wir haben immer sehr schön miteinander gefeiert und uns jederzeit gegenseitig geholfen.

Feiern in der Form tun wir heute nicht mehr, aber wir sehen uns mal zum Essen oder zum Kaffee. Als unser Nachbar krank wurde, haben wir und natürlich auch noch andere Nachbarn ihn im Krankenhaus besucht. Er ist verstorben, aber unsere Nachbarin gehört immer noch zu uns. Sie lädt noch ein, und wir nehmen sie mit zum Einkaufen oder zum Essen. Wenn wir in Urlaub fahren, stellt sie unsere Mülltonnen an die Straße und kümmert sich um die Häuser, was wir natürlich auch für sie tun, wenn sie mal unterwegs ist. Es ist eine schöne Zeit gewesen mit beiden, aber auch heute ist man froh, noch eine so verlässliche Nachbarin zu haben.

Angela Kaske

Sonnabends frische Brötchen

Nichts geht über frische, duftende Brötchen, die jeden Sonnabendmorgen an der Haustür hängen. Schon vor über 30 Jahren vereinbarten einige Reihenhausnachbarn an der Straße Am Backofen (passt doch) in Hummelsbüttel, einen Brötchendienst einzuführen. Reihum war und ist bis heute jeder alle drei Wochen dran, eine festgelegte Menge nach freier Auswahl zu besorgen. Einzige Bedingung: Die Brötchentüte muss bis spätestens 9 Uhr an der Tür hängen. Damit der nächste Nachbar weiß, dass er am folgenden Sonnabend Brötchendienst hat, wird immer eine große blaue Ikea-Tasche weitergegeben.

Gunter Morche, Hummelsbüttel

Blumiger Empfang

In meinem linken Nachbarhaus, Faberstr. 23, befinden sich Eigentümer-Wohnungen. Es sind sehr nette Nachbarn, mit denen ich sehr gute Kontakte habe. Als ich vor einiger Zeit ins Krankenhaus musste, kam gleich am ersten Tag ein Nachbar und brachte mir einen wunderschönen, großen Blumenstrauß im Namen aller Nachbarn (zehn Wohnungen). Ich habe mich riesig gefreut und später alle eingeladen in meinen Weingarten. Wir haben fröhlich gefeiert.

Ursula Lehmitz, Eimsbüttel

Unerwartete Begegnung

Das Zusammenleben mit meiner Nachbarin war so vertraut, dass sie mir versprach, ein Kleid abzustecken, nachdem sie noch einiges in ihrer Wohnung erledigt habe. Nach kurzer Zeit, ich hatte die Haustür nur angelehnt, klingelte es, und ich rief: "Komm rein, ich bin schon ausgezogen." Als sich nichts weiter tat, ging ich an die Tür - davor stand der Briefträger. Bei wem von uns mehr Schamröte zu sehen war, weiß ich nicht mehr.

Ute Holzkamp

Das Wunder der Weihnacht

Unsere kleine Straße im Hamburger Westen ist nur 250 Meter lang. Sie wird gesäumt von Ein- und Zweifamilienhäusern. Unsere Nachbarn kennen wir überwiegend nur vom Sehen. Dann kam Weihnachten 2009. In der Nacht zum ersten Weihnachtstag fiel plötzlich die Wasserversorgung aus. War nur unser Haus betroffen? Im Nebenhaus sahen wir zu später Stunde einen Nachbarn am Fenster. Winken, Rufen: Nein, er habe auch kein fließendes Wasser mehr. Schnell wurde klar, dass irgendwo eine Hauptleitung gebrochen sein musste. Ein Anruf bei den Wasserwerken brachte Gewissheit.

Und um Schlimmeres zu verhüten, wurde noch in der Nacht die ganze Straße "vom Netz genommen". Plötzlich waren wir eine Schicksalsgemeinschaft. Etwa 100 Menschen in 20 Häusern hatten das gleiche existenzielle Problem: kein Wasser. Schon am Vormittag des 25. Dezember hatten die Profis von Hamburg Wasser uns einen fahrbaren Tank hingestellt. Und nun begann das Weihnachtswunder: Wie zu alten Dorfbrunnen-Zeiten machten sich Menschen mit Eimern und anderen Gefäßen auf den Weg, standen geduldig Schlange am Wasserwagen, wünschten sich grinsend "Fröhliche Weihnachten", boten sich gegenseitig die Ausleihe von geeigneten Gefäßen und Hilfe beim Tragen an. Die Gespräche in der Warteschlange drehten sich anfänglich um die improvisierte WC-Spülung und andere wasserbezogene Themen, dann aber zunehmend um Privates und Persönliches. Wir lernten unsere Nachbarn kennen. Man sprach über Kinder und Enkelkinder, Weihnachtsbesuch und Festtagsgerichte. Wir tauschten uns aus über unseren Briefzusteller sowie über die Kindergärten, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten der Umgebung, und die Alteingesessenen erzählten den Neuhinzugekommenen, wie es "früher" in unserer Straße war.

Am Wasserwagen herrschten jederzeit fröhliche Weihnachtsstimmung und intensiver nachbarlicher Kontakt. Manch einer ging vielleicht öfter dorthin, als es der unmittelbare Wasserbedarf erfordert hätte. Schneller als erwartet hatte ein Bautrupp den Rohrbruch repariert. Der Wasserwagen war fort, und die Menschen zogen sich wieder in die Privatheit ihrer Häuser zurück. Ein wenig besser kennen wir uns seither in unserer kleinen Straße, aber der eine oder andere Wasserrohrbruch wäre für unser nachbarschaftliches Miteinander in der Zukunft sicher nicht das Schlechteste.

Hans-Jörg Bieger, Groß Flottbek

Ende der Serie