Weltweit regt sich unter der Jugend Kapitalismusprotest - aber ohne gemeinsame Idee

Ein Gespenst geht um - nicht nur in Europa, wie Karl Marx in seinem Kommunistischen Manifest 1848 schrieb - sondern weltweit. Es ist auch nicht das Gespenst des Kommunismus, sondern eine vielschichtige Bewegung meist junger Menschen, die mit ihren Lebensumständen und Zukunftsaussichten zunehmend unzufrieden sind. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich vor allem moderner Kommunikationsmittel, sogenannter sozialer Netzwerke, bedienen. Begonnen hat das mit dem "Arabischen Frühling" in Tunesien und Ägypten. Mittlerweile sind dank der Finanzkrise und ihrer Auswirkungen aber auch zahlreiche westliche Länder von Israel über Europa bis in die USA und nach Chile betroffen.

Die Schuldigen sind schnell ausgemacht. Im arabischen Raum waren es halsstarrige Despoten. Im Westen werden die Banken oder - noch globaler und radikaler zusammengefasst - der Kapitalismus für die gegenwärtige Misere in Haftung genommen. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

Gewiss sind nach dem Zusammenbruch des Ostblocks im grenzenlosen Überlegenheitsgefühl des Westens manche Sicherungen durchgebrannt, hielten sich Börsianer und Investmentbanker für die Herren der Welt, träumten Theoretiker vom Ende der Geschichte und glaubten manche, alle Probleme seien nun gelöst. Die Folgen sind derzeit zu besichtigen. Und wenn in Finanznot geratene Staaten sparen müssen, tun sie das meist im Sozialbereich. Viel mehr Möglichkeiten haben sie gar nicht, und der massive Unmut ihrer Bürger ist ihnen gewiss.

Kapitalismuskritik ist allerdings auch so alt wie diese Wirtschafts- und Gesellschaftsform selbst. Einer der großen Vorzüge des Kapitalismus ist aber auch seine Wandlungs- und Reformfähigkeit. Fehler können korrigiert, neue Entwicklungen adaptiert werden. Dass es etwa in Deutschland keine Revolution gibt, liegt sicherlich nicht nur daran, dass hier das Betreten des Rasens verboten ist, wie Stalin einst spottete. Es ist vor allem einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft zu verdanken, die Ungleichgewichte und Spannungen in der Gesellschaft auszugleichen vermochte.

Und spätestens hier, bei der Suche nach brauchbaren Alternativen oder Reformvorschlägen, beginnen die Probleme der weltweiten Protestler. Von einer gemeinsamen Idee, gar von einem praxistauglichen Vorschlag, sind sie weit entfernt. Diffuses Unbehagen allein aber führt kaum zum gesellschaftlichen Wandel, auch nicht, wenn es millionenfach in Bits und Bytes portioniert um den Erdball versendet wird. Und die Möglichkeit, sich spontan zu jeder Zeit an jedem Ort zu einer Demonstration verabreden zu können, ist noch keine politische Bewegung.

Kommunikation ist eben auch im Kommunikationszeitalter nicht alles. Es hat auch schon vor der Erfindung des Internets erfolgreiche Reformen und Revolutionen gegeben. Fehlen aber die gemeinsamen Inhalte und Ziele sowie eine handlungsfähige Organisationsstruktur, versanden die Bewegungen genauso, wie vor gut zehn Jahren die New-Economy-Blase geplatzt ist. Damals hatten viele geglaubt, Wirtschaft könne im Wesentlichen virtuell stattfinden und die bisherigen Produktions- und Verteilungsmethoden, nicht ohne verächtlichen Unterton Old Economy genannt, seien ein für allemal passé. Genauso wenig wie die Wirtschaft lässt sich Politik vollständig digitalisieren.

Und um noch einmal den alten Marx zu bemühen: "Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift." Voraussetzung ist aber, dass man auch eine brauchbare Idee hat und diese dann nicht im virtuellen Raum stecken bleibt. Nur dann werden die Protestler von den Regierenden auch ernst genommen und haben umgekehrt Politiker die Chance, auf konkrete Forderungen oder Wünsche zu reagieren.