Zum Abschluss unserer Serie “Die lieben Nachbarn“ kommen heute und morgen die Leser zu Wort und erzählen ihre persönlichen Geschichten.

Harry & Sally

Hamburg. Es begann 2005: Unsere Tochter jobbte in einer Apotheke und fuhr Medikamente aus. Eines Tages kam sie nach Hause und sagte: "Ich war eben bei Frau Pool, ihre Katze hat völlig überraschend zwei Junge bekommen, die musst du dir mal ansehen!" Ich ging hoch und sprach mit der Dame. Der Wunsch nach einer Katze war lange da, aber sie wollte nur beide zusammen abgeben. So kamen Harry & Sally zu uns. Während der ersten Lebenswochen durften wir die Kitten bei Frau Pool besuchen, und so entwickelte sich ganz behutsam eine wunderbare Freundschaft. Frau Pool war sehr krank und konnte das Haus nicht mehr oft verlassen. Aber wir trafen uns immer wieder - mal bei uns, mal bei ihr. Sie lebte mit ihren erwachsenen Kindern in zwei Wohnungen in unserem Haus, und auch mit den Kindern wurde es immer vertrauter. So haben wir gemeinsam gesessen, wenn die Katzen Geburtstag hatten, und wenn jemand ins Krankenhaus kam, haben wir uns besucht. Es wurde in recht kurzer Zeit eine sehr liebevolle Bindung, die ich nie missen möchte. Im September vor zwei Jahren starb Frau Pool. Ich hatte sie noch am Freitag im Krankenhaus besucht, am Montag gab es sie nicht mehr. Ich vermisse sie sehr, aber: Wir haben den Kontakt mit ihren Kindern, die ja auch erwachsene Leute sind, beibehalten. So bastele ich immer noch in der Vorweihnachtszeit einen Adventskalender für sie, und sie vergessen keinen Geburtstag in unserer Familie. Gerade jetzt hatte unser Hund seinen dritten Geburtstag, und es lag wieder ein kleines Paket vor der Tür mit einer sehr liebevollen Karte. Ich finde es ganz wunderbar, dass es in einer Großstadt wie Hamburg eine solche nachbarschaftliche Verbindung gibt. Wir helfen uns, wenn jemand verreist, und versorgen die Tiere. Egal was passiert, man kann sich jederzeit kontaktieren und hilft sich gegenseitig. Und was ich besonders schön finde: Wir halten trotzdem Distanz und belämmern uns nicht gegenseitig. Das ist die beste Voraussetzung für eine hoffentlich lang anhaltende, nachbarschaftliche Freundschaft.

Stefanie Börner, Eilbek

Oma Jo und Opa Manni

Neben uns wohnt eine junge Familie. Tochter Jolanda ist gerade neun Jahre alt geworden. Unsere Gärten grenzen aneinander. So lernten wir uns kennen und wurden zu Oma Jo, 76, und Opa Manni, 72. Die Oma musste vor Kurzem ins Krankenhaus. Der Vater von Jolanda erzählte uns in dem Zusammenhang Folgendes: Jolanda stellt sich nahe zu ihm. "Du, Papa, Oma Jo ist doch im Krankenhaus und nun ist der Opa Manni ganz alleine. Er langweilt sich bestimmt. Ich gehe mal rüber und lese ihm etwas vor." Ein anderes Mal werkeln Jolanda und Oma Jo im Garten. Dabei reden sie über vieles. Plötzlich blickt Jolanda auf und sagt ernsthaft: "Eigentlich würde es doch genügen, wenn es nur Großeltern und Kinder gäbe. Wozu brauchen wir da noch die Eltern?" Oder Jolanda sitzt mit einem Köfferchen auf unserer Auffahrt. Opa Manni fragt sie: "Hallo Jolanda, willst du verreisen?" "Nein, ich hatte Streit, und jetzt gehe ich weg." "War der Streit denn so schlimm?" "Nein, eigentlich nicht; ich will denen ja nur ein bisschen Angst machen, dass ich wirklich weg bin; aber ich gehe jetzt besser wieder rein. Die haben sich bestimmt schon genug gefürchtet." Wir sind für diese lebendige Nachbarschaft sehr dankbar.

Johanna und Manfred Schneider, Meiendorf

Eimsbütteler Geschichten

Eimsbüttel vor 30 Jahren. Eidelstedter Weg 57. Ein Mietshaus mit 20 Zweizimmer-Altbauwohnungen. Kohlenheizung. Wenn eine altertümliche Waschmaschine im vierten Stock ausläuft, wird's auch ganz unten nass. So was ist aber eher ein Anlass, den Nachbarn endlich mal wieder zu besuchen, als sich zu beschweren. Hier wohnen Studenten und Arbeiter (Witwen). Grüne und alte Sozis. Die jungen Leute ziehen nach ihrem Studium oder ihrer Ausbildung weg. Die Alten leben schon seit Jahrzehnten dort. Sind stolz auf Eimsbüttel. Zum Beispiel Elfie Alberts. Vor 75 Jahren in diesem Haus geboren, immer dort gewohnt, im Krieg drei Kinder in der Zweizimmerwohnung aufgezogen. Oder die Jablonskys. Er erzählt gern Geschichten von früher und seiner Tätigkeit als "Kreisel-Ingenieur" - soll heißen: Straßenkehrer. Sie sagt kein Wort, lacht aber immer an den richtigen Stellen. Und dann ist da noch Frau Bittermann. Mitte 80, wohnt im vierten Stock, kein Fahrstuhl. Seit drei Jahren verwitwet, aber da ihr Mann ein kleiner Beamter war, ist sie was Besseres. Fühlt sich mehr Niendorf als Eimsbüttel. Erzkonservativ. Pflegt ihren Weltschmerz und ihre Vorurteile. Das Mittelalter fehlt ganz. Zweimal im Monat wird gefeiert. Die Jungen klingeln bei den Oldies und erklären, dass es lauter werden könnte. "Was?" "Lauter!" "Macht nichts, wir hören sowieso schlecht." "Kommen Sie doch einfach vorbei und feiern Sie mit." "Ach nein. Das ist nichts für uns." Und dann - überpünktlich stehen sie auf der Matte. Alle. Schick in Schale. Amselfelder in der Rechten. Wollen nur kurz vorbeigucken, beileibe nicht reinkommen, bloß einen Blick in die Wohnung werfen, wie junge Leute so leben und feiern. Das wiederholt sich alle zwei Wochen. Frau Bittermann muss mit sanfter Gewalt abgeholt werden. Sie sträubt sich zunächst, weil ihr Ernst noch keine drei Jahre unter der Erde ist. Da kann sie doch nicht feiern. Sie klönt sich fest und bleibt. Auch das gehört zum Ritual. Die Stimmung ist bestens, Frau Bittermann freundet sich mit dem polnischen Studenten Rafi an. Rafi ist nicht wahlberechtigt und möchte wählen, Frau Bittermann dagegen will von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen. So wird sich fröhlich ereifert, bis Frau Bittermann gegen Mitternacht ihren Sentimentalen kriegt. Da feiert sie, und ihr Ernst ist gerade mal drei Jahre unter der Erde. Das ist das Startsignal. Die Alten verabschieden sich. Am nächsten Sonntag ist Wahltag. Frau Bittermann macht sich tatsächlich auf und wählt stellvertretend für Rafi die Grünen. Aber bloß nicht drauf ansprechen.

Jörn Mählmann, Groß Flottbek

Lebenshilfe

Eine sehr liebe Nachbarin, die seit 40 Jahren in einem schönen Einfamilienhaus neben uns wohnte, bekam Besuch von ihrem Neffen, den sie kaum gesehen hatte. Dieser Neffe "verfrachtete" die 82 Jahre alte Dame ins Altenheim. Er räumte das Konto ab. Steckte den Schmuck ein. Er schmiss sämtliche Sachen der Nachbarin weg bzw. ließ diese abfahren. Es war kein Teller, kein Topf, nichts mehr in der Küche. Wir besuchten die Nachbarin im Krankenhaus. Sie war sehr munter und wollte nach Hause. Doch das Haus wollte der Neffe verkaufen. Wir bemühten uns darum, dass wir sie nach Hause bringen konnten, aber er hatte eine Vollmacht. Wir waren nur die Nachbarn. Dann - als sie in einem Zimmerchen im Altenheim weinte und nach Hause wollte - haben wir sie angezogen, der Heimleitung gesagt, dass wir gleich mit ihr wiederkämen. Zu Hause das ausgewechselte Schloss knacken lassen. Ihr Teller und Töpfe gegeben. Die Polizei stand gleich vor der Tür, sah aber ein, dass die alte Dame nicht gewaltsam aus ihrem Haus gebracht werden konnte, denn sie war nicht entmündigt. So haben wir dann die Pflege durch die Diakonie veranlasst, den Hausarzt regelmäßig bestellt, für sie eingekauft, Medikamente besorgt etc. Sie blühte auf und fühlte sich sehr wohl in ihren eigenen Wänden und dem Garten. Es war oft nicht leicht, aber unsere Nachbarin hat noch mehr als zwei Jahre glücklich in ihrem Haus gelebt. Ja, jetzt ist sie tot, aber wir sind sicher, dass sie nicht so lange gelebt hätte, wenn wir sie im Heim gelassen hätten. Wir sollten uns alle mehr um unsere Nachbarn kümmern, dann wäre das Leben für alle schöner.

Karin Beck und Peter Beck, Uetersen

Hochbeet in der Kita

Seit zwölf Jahren leben wir nun nebeneinander. Die Hobbygärtnerin Renate und der Tüftler Klaus (Jahrgang 32, waschechter Hamburger), ehemals als Ingenieur tätig. Klaus lässt, wenn wir im Urlaub sind, die Rollos hoch und runter, versorgt manch Haustier mit Futter, Renate gießt unsere zahlreichen mediterranen Kübelpflanzen auf der Terrasse und hat ein Auge auf meine nun schon sehr betagten Oldies (Eltern), die in unserem Doppelhaus nebenan wohnen. So können wir als Familie immer unseren Urlaub in Ruhe genießen. Etwas Besonderes hat nun Klaus für einen Kindergarten in Altona, in dem ich beschäftigt bin, gebaut: ein Hochbeet. Er rechnete, tüftelte, berechnete, schrieb eine Einkaufsliste und schon bald konnte das Hochbeet Ende August errichtet werden. Es war ein großer Spaß. Klaus schloss Freundschaft mit Jason, 5, einem Kindergartenkind, und ließ ihn und auch andere Kinder mithelfen. Das Hochbeet wurde an einem Vormittag errichtet. Doch nun droht dem Hochbeet das Aus, weil Vattenfall Arbeiten auf unserem Kitagrundstück erledigen muss. Wie sollen nun Frühjahrsblüher im November noch in die Erde kommen, damit sie schön im Frühling blühen? Die Enttäuschung ist groß. Klaus trägt es mit Gelassenheit. Das Hochbeet ist nach seinen Plänen im Rohbau erst einmal fertiggestellt. Damit ist er vorerst zufrieden. Glücklich würde es ihn allerdings machen, wenn demnächst die Kinder über die schönen Blumen, Kräuter und Gemüse staunen könnten. Sicher machen wir dann auch ein zünftiges Hochbeetfest, nächstes Jahr zum Erntedank. Ich danke Klaus für seinen Einsatz und seine Geduld mit den Kindern der Kita und mit mir. Bessere Nachbarn kann ich mir nicht vorstellen.

Ulrike Pfeiffer, Schnelsen

Sommer auf dem Balkon

Das Schönste an Nachbarn ist doch, du musst dich nicht um sie bemühen, du musst sie nicht aussuchen, sie sind einfach da. Und besonders glücklich schätzen darfst du dich, wenn diese Nachbarn dich dann auch noch an ihrem Leben teilhaben lassen. Ich habe dieses Glück, meine Nachbarn sind ausgesprochen kommunikativ. Nicht mit mir, aber mit ihrer Familie, Freunden und Bekannten. Das weiß ich sehr genau durch zahllose, äußerst temperamentvoll geführte Telefonate, die bevorzugt auf dem Balkon, mindestens aber bei offener Balkontür stattfinden. Insofern bin ich immer auf dem Laufenden über Probleme und Seelenlage aller Beteiligten. Und das sogar live und gebührenfrei. Auch wissen meine Nachbarn offensichtlich, dass ich schon vor Jahrzehnten mit dem Rauchen aufgehört habe. Daher rauchen meine Nachbarn ausschließlich auf dem Balkon, sicher nur, um mir die Entwöhnungsphase wenigstens durch das Passivrauchen ein wenig angenehmer zu gestalten. Auch sorgen meine Nachbarn gern dafür, dass ich am Wochenende nicht zu lange schlafe. Gerade am Sonntag wecken sie mich freundlicherweise oft in den frühen Morgenstunden, wenn sie von ihren nächtlichen Vergnügungen lautstark zu Hause eintreffen. Dadurch sind meine Wochenenden viel länger geworden, was ich sehr genieße. Eines jedoch kann ich an meinen Nachbarn überhaupt nicht leiden. Sie haben mich nie gefragt, ob und wie mir das gefällt.

Klaus Bastian, Hamburg

Gemeinsam sind wir stark

Mein korpulenter Mann war beim Duschen in die Wanne gerutscht und kam wegen seiner Fülle nicht wieder raus. Ich klingelte bei der afghanischen Familie, nur die zarte Frau war anwesend - wir beide konnten ihn nicht aus seiner misslichen Lage befreien. Also zum nächsten Nachbarn - ein hilfsbereiter Spanier, ein beherzter starker Männergriff, und raus ist er. Mein lieber Mann stand wie ein Riesenbaby nackt vor uns allen. Ein befreiendes Riesengelächter folgte. Wie schön - wir sind multikulti.

Christel Wendt, Eimsbüttel

Hinterm Vorhang

Mein Nachbar ist in einem Fenster gegenüber - getrennt durch die Straße. Ich weiß nicht, ob der Mieter ein Er oder eine Sie ist. Die Vorhänge sind immer zugezogen, aber auf der linken Seite des Fensters lugt ein Porzellan-Lampenschirm hervor. In sporadischen Abständen leuchtet diese Lampe die ganze Nacht grell in die Dunkelheit und erhellt mein Vorderzimmer. Schiffe fahren nicht in der Straße, also kein Leuchtfeuer. Sturmfreie Bude? Ich weiß es nicht, vielleicht sollte ich doch mal versuchen, in das Haus gegenüber zu gehen.

Ingrid von Schröder-Stoob, Eppendorf

Schneehöhlen

Schon in meiner Kindheit hatte ich eine Leidenschaft zum Bau von Schneehöhlen. Wenn die Schneemenge es zuließ, bekamen diese Höhlen mindestens eine erste Etage, hierauf einen weiteren Boden, Zinnen und manchmal sogar eine Rutsche, auf der man außerhalb der Mauern wieder zum Eingang zurück rutschen konnte. Sie erinnerten an Ritterburgen und waren über zwei Meter hoch. Jahre später, die eigenen beiden Töchter hatten bereits das Haus verlassen, herrschten wieder Witterungsbedingungen, die mich an meine alte Leidenschaft erinnerten. Ich lud alle Kinder unserer Nachbarschaft zu einem Neubau in meinen Garten ein. Es gab Arbeiter, die Stapelboxen mit Schnee füllten und festtraten, Spediteure, die die gefüllten Boxen auf Schlitten zur Baustelle zogen, Maurer, die die Schneeblöcke verarbeiteten, und natürlich einen Architekten, der für die Planung zuständig war. Mich. Mitten in dem Gewusel zupft eine kleine, zwei- bis dreijährige Nachbarin mit knallroten Ohren an meinem Mantel und ruft zu mir hoch: "Duhuhuuuu, weißt du wahahas?" "Na, was ist denn?" "In drei Tagen ist Silvester, und weißt du, was ich dann mache?" "Na, was machst du dann?" "Dann schmeiß ich meine Pampers weg." Einige Tage später erfuhr ich von ihrer Mutter, dass sie diesen Vorsatz leider nicht einhalten konnte.

Manfred Kausior, Alstertal