Riesige Lager und kleine Röstereien: Die Hansestadt ist Europas größter Umschlagplatz für die Bohne. Eine Spurensuche zum Tag des Kaffees

Hamburg. Schwarz, tiefschwarz sogar, sieht der Kaffee aus, den Thimo Drews in die Tasse gießt. "Was Abgefahrenes" sei das jetzt mal, sagt der gelernte Rohkaffeehändler, zwinkert kurz und schaut dann den Gast erwartungsvoll an. "Das hallt doch noch, das hat Fülle, spürst du das leichte Ziehen an der Zunge?", fragt er. Und tatsächlich, kräftig, massig und mit zarter Säure im Hintergrund schmeckt der erste Schluck. Nicht mild, aber auch nicht scharf. Panama Geisha heißt die äußerst seltene Sorte. Klingt verführerisch und muss es wohl sein: Knapp 200 Euro kostet das Kilogramm und ist eine der Kaffeespezialitäten, die heute am Tag des Kaffees hier in seiner kleinen Rösterei Speicherstadt-Kaffee und vielen anderen Restaurants, Röstereien und Bistros in der Stadt angeboten werden.

Auch der zweite Schluck Panama Geisha ist wieder "füllig", wie Drews das nennt. Der 47-Jährige trinkt den Kaffee zunächst vorsichtig nur aus einem kleinen Löffel. "Man muss sich auch bewusst machen, dass jede einzelne Bohne von Hand gepflückt ist", sagt er zwischen zwei Schlucken. Der blonde Kaffee-Experte trägt Kapuzenpulli und Jeans, hantiert lässig geschickt mit der kleinen gläsernen Kaffeekanne. Oft ist er in den Ländern rund um den Äquator unterwegs, um rohe Kaffeebohnen einzukaufen. Einen Teil bekommen er und sein Geschäftspartner für die Speicherstadt-Rösterei auch von einer kleinen Finca, die der Familie seiner kolumbianischen Frau gehört. Kaffeeeinkauf, sagt Drews, das sei immer noch ein Handschlaggeschäft.

Und es ist ein sehr altes und sehr wichtiges Geschäft in Hamburg, wo sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts der deutsche Kaffeeverband gründete, der nun jährlich den Tag des Kaffees organisiert.

Heute ist Hamburg immer noch Europas größter Kaffee-Umschlagplatz. Jedes Gramm Kaffee, das in Deutschland aufgebrüht wird, ist in der Hansestadt umgeschlagen oder gehandelt worden, heißt es beim Kaffeeverband.

Und auch der Weltmarktführer im Rohkaffeegeschäft, die Neumann-Gruppe, hat ihren Sitz in Hamburg. Bei ihrem Tochterbetrieb, der NKG Kala Warehousing & Processing, kommen die meisten für Deutschland bestimmten Kaffeebohnen an, werden hier für viele Kunden begutachtet, gesäubert, gelagert und gemischt. 2006 zog das Unternehmen aus der heutigen HafenCity auf die Hohe Schaar nach Wilhelmsburg, wo es für 50 Millionen Euro einen knapp 70 Meter hohen, dunklen Silokomplex baute. Die deutsche Hochburg des Kaffees, wenn man so will: 17,5 Millionen Kaffeesäcke führt Deutschland jedes Jahr ein, gut eine Million Tonnen. Im Hamburger Hafen wird dabei mit 650 000 Tonnen mehr als die Hälfte umgeschlagen und "die Kala", wie das Unternehmen in Branche heißt, hat hier einen deutschlandweiten Umschlaganteil von 60 Prozent. Zwei Drittel davon sind für den Konsum in Deutschland bestimmt, jede zweite Tasse im Land geht durch unsere Hände, sagt Kala-Geschäftsführer Günter Brockhaus.

Aus seinem Büro fällt der Blick direkt auf die Kräne des nahen Container-terminals Altenwerder. Dort kommt der Kaffee heute - wie mehr als 90 Prozent der von Schiffen transportierten Waren - in den Stahlboxen an. Vor sich hat Brockhaus eine Karte ausgebreitet, sie zeigt, wo überall Kaffee angebaut und gehandelt wird. Rund um den Äquator sind kleine grüne Punkte zu sehen. "Dort ist die Neumann-Gruppe überall vertreten", sagt Brockhaus. Der 60-jährige sportlich-schlanke Volkswirt trägt offenes Hemd zur Anzugjacke, pflegt einen kameradschaftlich-freundlichen Ton zu seinen Mitarbeitern, klopft auch schon einmal auf die Schulter. Sich selbst bezeichnet er nach 26 Jahren im Kaffeegeschäft immer noch als "Seiteneinsteiger".

Aber viel habe sich geändert, sagt er. Längst handeln auch Fonds und Lebensversicherungen mit Kaffee, nicht nur klassische Kaffeehändler wie Drews. Weit mehr Papierverkäufe fänden da statt, als dass reale Ware ihre Besitzer wechselt. Ein Geschäft mit vielen Preisschwankungen sei das geworden, bei dem man sich selbst zusätzlich durch den rein virtuellen Handel aus Gewinnen und Verlusten absichern müsse. Brockhaus lächelt: "Aber hier geht es real zu: Wir machen den Kaffee nicht braun, wir sind die Grünen, die den Kaffee bis zur Rösterei behandeln", sagt er.

Um sich das anzusehen, müssen die Besucher in lange weiße Mäntel schlüpfen. Eine Hygienevorschrift, weil Kaffeebohnen eben Lebensmittel sind. Über den Hof zieht ein feiner kaffeeähnlicher, mehr säuerlicher Geruch, der aus einer der Anlagen stammt, wo Kaffeebohnen vor der Röstung mit heißem Wasserdampf behandelt werden, um bestimmte Sorten milder zu bekommen. Zunächst zeigt uns Brockhaus eine Halle voll mit den klassischen 60 Kilo schweren braunen Jutesäcken. "Bio" oder "organic" steht auf vielen. Das Gehirn sagt jetzt, es müsse nach Kaffee riechen, doch der Geruch in der Halle ist anders. Lagermeister Arno Klötzer rammt einen zigarrengroßen Probenstecher in einen der Säcke, blassgrüne Kaffeebohnen rieseln heraus. Ein erster Eindruck von der Qualität der Ware, die bei der Kala treuhänderisch für Kunden und Erzeuger ermittelt wird. "Schöner Kaffee", sagen Lagermeister und Geschäftsführer nahezu gleichzeitig, als würden beide ein Gemälde bewundern. Doch nach Kaffee riecht es immer noch nicht, eher nach Heu. "Der Geruch kommt später beim Rösten", sagt Brockhaus. Gut 6000 Tonnen solcher Säcke lagern hier, oft aus Ländern wie Äthiopien, die keinen eigenen Hafen haben, die Säcke werden dann erst später in Container geladen. Doch fast 80 Prozent der Kaffeebohnen kommen heute als reines Schüttgut im Container an. Brockhaus sieht das nüchtern: "Das sieht nicht so romantisch aus, macht aber weniger Schäden."

Eine Halle weiter fährt ein Zugfahrzeug einen Container an eine Rampe heran, ein Arbeiter öffnet die schweren Türen, und eine Art riesiger innerer Schutzsack kommt zum Vorschein. Er nimmt ein Messer, schneidet einen Schlitz hinein. Laut wie kleine Kieselsteine prasseln die Bohnen in einen Trichter, Rohre reichen nach oben, manche führen Proben in einen Nebenraum der Schaltzentrale, von wo aus die 350 Silos vollkommen elektronisch gesteuert werden. Alle zehn Sekunden prasseln dort einige wenige Bohnen einer bestimmten Warensendung in einen Behälter, um einen Durchschnittswert für die Qualität zu ermitteln. Feuchtigkeitsgehalt, Bruchanteil - das wird gemessen. In kleinen transparenten Rohrhülsen werden die Proben aufbewahrt: "Brasil Grinder" steht auf einem, "Zambia Perl" auf einer anderen. Dazu Herkunft und Transportweg. Mit der "Bangkok Express" von Hapag- Lloyd ist die aktuelle Containerladung gerade gekommen, die da durch die Rohre saust. 21 Tonnen aus Vietnam.

In einem der oberen Räume bilden die vielen Rohrzuleitungen zu oberen Silozellen ein bizarres Gewölbe. "Unsere Kathedrale", sagen sie hier. Die heilige Halle der deutschen Kaffeewelt: Tchibo, Aldi, Darboven - die großen Röstereien lagern hier ihren Kaffee, den sie überall in der Welt einkauft haben. Und hier werden viele Sorten auch schon gemischt, bevor sie geröstet werden. Jedes Unternehmen hat eigene Rezepturen: 40 Prozent Brasil, 20 Prozent Robusta aus Vietnam, ein wenig aus Höhenlagen in den Anden. "Es gibt irre viele Kombinationen", sagt Kala-Geschäftsführer Brockhaus. Und dass Zeit heute das Wichtigste in diesem Geschäft sei. Im Viertelstundentakt fahren die Lkw zu den Röstereien, punktgenau zur Verarbeitung. Vier bis fünf Tage lagern die Bohnen meist nur in Wilhelmsburg - das reiche gerade, um sie zu bewerten und zu reinigen. "Früher dauerte die Lagerung vier, fünf Wochen", sagt Brockhaus. Viel hat sich in diesem Geschäft eben verdichtet, 85 Prozent des Röstkaffeeverkaufs wickeln in Deutschland sechs Großröstereien ab.

Doch auch kleine Spezialitätenbetriebe wie die von Thimo Drews und Andreas Wessel-Ellermann in der Speicherstadt lagern ihre Bohnen "bei der Kala". Beide kannten das Kaffeegeschäft schon als Kind, weil die Väter dort tätig waren. Ende der 90er-Jahre arbeiteten sie zusammen, Wessel-Ellermann hatte ein kleines Lager in der Speicherstadt, Drews handelte mit Rohkaffee.

Als ein russischer Kunde bestimmten Röstkaffee haben wollte, experimentierten sie mit einer alten Maschine, und wie früher zog der Geruch frisch gerösteten Kaffees um die alten Backsteinbauten. Besucher der damaligen "Titanic"-Ausstellung wurden darauf aufmerksam, ganze Menschentrauben sahen plötzlich den Röstern zu. Da wurde die Idee geboren, Rösterei und Café zu verbinden, was beide erst Jahre später umsetzten. Heute rösten sie quasi mitten im Café. Ein alter Trommelröster steht in der Ecke, Wessel-Ellermann schüttet Bohnen nach, die sich im Röstofen drehen, damit die flache Seite der Bohne nicht anbrennt und sich die Aromen entfalten können. 20 Minuten bei etwa 200 Grad dauert eine solche handgemachte Röstung. "Wir kitzeln so alle Aromen heraus", sagt er. Industriell verarbeitet dauere die Röstung nur 90 Sekunden bei 400 Grad - was die Produktion natürlich ungleich günstiger mache. "Dann ist die Bohne aber außen schwarz, innen noch grün und das macht Braun", sagt Wessel-Ellermann und spricht von einem "Heißgetränk mit Kaffeegeschmack", das da herauskommen kann.

Auf jeden Fall nichts mit Panama Geisha Vergleichbares. (abendblatt.de)