Obwohl viele den normalen Wahnsinn in der Altenbetreuung selbst zu spüren bekommen werden, werden die Probleme verdrängt

Am Mittwoch ist sie gestorben. Waltraud, meine Lieblingsoma. Eine Frau, die in der Nachkriegszeit für das Familiengeschäft mit dem Lkw Lederwaren durch den Iran transportierte; die Schicksalsschlag um Schicksalsschlag meisterte, die sich ihr ganzes Leben lang von nichts und niemandem unterkriegen ließ. Jedenfalls beinahe.

Als ich sie das letzte Mal sah, lag dieselbe Frau nämlich in einer Windel vor mir, mit einem Sauerstoffschlauch in der Nase und sagte, sie könne nicht mehr. Kurz darauf hörte ihr Herz auf zu schlagen. Sie hatte Schmerzen. In den Beinen, im Rücken, ja eigentlich überall. Jetzt ist sie erlöst. Jedenfalls ist das der Trost, in den sich ihre Angehörigen flüchten. Auch ich gehöre dazu. Ganz klar: Es ist besser so! Doch wer kann das wirklich beurteilen?

Besser wäre es in jedem Fall gewesen, wenn ihr diese letzten Monate ihres 88-jährigen Lebens erspart geblieben wären. Weil die Familie keine 24-Stunden-Betreuung leisten konnte, lebte Oma Waltraud in einem Altenheim, das sie nur als Gefängnis bezeichnete. Es war ein Gefängnis mit schönem Ausblick, nett eingerichtet mit persönlichen Gegenständen und täglichem Besuch der Verwandtschaft. Wohlgefühlt hat sie sich dort trotzdem nie. Ihr fehlte das heimische Umfeld, eine fürsorglichere Betreuung durch das Personal.

Ein Zustand, der vielen Menschen in Deutschland an ihrem Lebensabend zu schaffen macht und den angesichts unserer überalternden Gesellschaft schon in naher Zukunft noch viel mehr Menschen erleben werden. Thematisiert wird das anscheinend jedoch nur ungern. Dabei muss sich in der Altenpflege dringend einiges ändern. Spätestens bis man irgendwann selbst auf Hilfe angewiesen ist. Denn wer will schon zu Tode gepflegt werden?

Große Aufregung gibt es nur dann, wenn gerade mal wieder krasse Missstände aufgedeckt werden. Was hat man nicht alles schon gehört über miserable Zustände in deutschen Alten- und Pflegeheimen. Über überlastete Pfleger und ruhiggestellte und vernachlässigte Bewohner. Über verwahrloste Zimmer, verschmutzte Wäsche und Matratzen voller Kot und Urin. Über unterlassene Hilfeleistung nach dem Motto: "Da wird kein Doktor geholt, die stirbt eh gleich!"

Solch skandalöse Zustände herrschten im Altenheim von Oma Waltraud sicher nicht. Man muss es wohl leider als ganz normalen Wahnsinn bezeichnen, der sich da in dem von einem namhaften gemeinnützigen Verein geführten Haus abspielte. Sobald die Familie außer Sicht war, ließ die Betreuung doch sehr zu wünschen übrig. Da wurde das Frühstück unerreichbar abgestellt, die Einnahme von Medikamenten nicht kontrolliert, die Wäsche nicht gewechselt. Fenster blieben auch bei 25 Grad Raumtemperatur geschlossen. Eindeutige Ursache: fehlendes Personal. Ein seit Jahren in vielen Einrichtungen bekanntes Problem, das mit der Abschaffung des Zivildienstes noch verschärft wurde. Vielerorts können die Angestellten rein zeitlich gar nicht die Betreuung gewährleisten, die nötig wäre. Wenn dann auch noch einige wie im beschriebenen Haus völlig fehl am Platz sind, keinerlei Gefühl für die Lebenssituation der ihnen anvertrauten Patienten haben, sind menschenunwürdige Verhältnisse programmiert, und das Leben wird spätestens bei Bettlägerigkeit zur Qual.

Doch wie lässt sich das ändern? Sicher nicht allein durch die Änderung von Kriterien im sogenannten Pflege-TÜV, mit dem es Pflegebedürftigen und ihren Familien erleichtert werden soll, die Qualität eines Heims zu beurteilen. Seit 2009 kontrolliert und benotet der medizinische Dienst der Krankenkassen die Heime in Deutschland. Die Ergebnisse werden unter anderem im Internet veröffentlicht.

Viel wichtiger wäre eine adäquate Bezahlung der Angestellten in Pflegeberufen. Denn mal ehrlich: Wer tut sich diesen seelisch belastenden Knochenjob denn an? Viele, die es tun, sind schlichtweg überfordert. Andere, die sich trotz des geringen Auskommens mit viel Geduld alten oder behinderten Menschen zuwenden, gebührt hingegen der größtmögliche Respekt. Eine Lobby haben sie nicht. Vielleicht wären sie eine neue Zielgruppe für die FDP. Mit Klientelpolitik kennt man sich bei den Liberalen ja bestens aus. Für ihre ehemalige Wählerin Waltraud käme das Engagement allerdings zu spät.