Vor 20 Jahren schrieb Nirvana mit “Nevermind“ Geschichte - ein Album, dessen Einfluss an “ Sgt. Pepper“ der Beatles heranreicht

John Lennon und Kurt Cobain hatten wahrscheinlich viel gemeinsam. Wie das bei Menschen, die derselben Profession nachgehen, eben so ist. Zwei Dinge ragen aus der Schnittmenge ihrer Biografien heraus: Beide starben viel zu früh. Lennon wurde 1980, er war gerade 40, erschossen; Cobain brachte sich 1994 um, mit 27. Außerdem waren Lennon und Cobain an zwei herausragenden Werken der Popmusik beteiligt. Lennon und die Beatles nahmen 1967 "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" auf - die Platte ist ein Mythos. Und heute vor 20 Jahren erschien Nirvanas "Nevermind".

Dessen Bedeutung in der Musikhistorie ist auf gewisse Weise in nur einem Satz umrissen, den der Schauspieler Mickey Rourke in dem Film "The Wrestler" sagt. Er klingt auf Englisch viel besser als auf Deutsch: "And then that pussy Cobain came along and ruined everything."

Kurt Cobain hat also "alles" kaputt gemacht: den 80er-Jahre-Metal, das supermännliche Getue auf der Bühne, das zwar oft apokalyptische, aber am Ende doch ziemlich unbeschwerte Rocken, die Frisurenpracht haariger Gitarrenhelden. Cobain hat aus Sicht von Leuten wie dem von Rourke dargestellten Wrestler ein ganzes Jahrzehnt beerdigt. Cobain führte die Band Nirvana an. Ihr Album "Nevermind" gilt als Meilenstein der Rockmusik und bestes Werk einer Spielart des Pop, die "Grunge" heißt und drei Jahre lang die Weltherrschaft beanspruchte (bis zu Cobains allzu frühem Tod). Na ja, vielleicht nicht ganz. Mindestens aber war es so, dass "Nevermind" ästhetische Maßstäbe setzte und außerdem das Lebensgefühl einer Generation abbildete.

Plötzlich war es schick, Holzfällerhemden, Kinnbart und strähniges Haar zu tragen. Seltsamerweise schwang sich mit dem Vorbild Cobain ein Mittzwanziger in den Rang eines Propheten, der ein offensichtliches Drogenproblem hatte, unter seiner eigenen Popularität litt und für depressive Songs wie "I Hate Myself And Want To Die" bewundert wurde.

Dankenswerterweise beendete Nirvana in der Tat die 80er musikalisch endgültig. Wer stupiden Hardrock wie Skid Row oder Ratt machte, der hatte nichts mehr zu melden. Der Rock-Entwurf der neuen Gitarrenbands war zeitgemäßer, aber auch schlicht besser - die poppige Seite des 80er-Jahre-Metal ist so klebrig wie einfältig.

Da erschien der rotzige und etwas schmutzigere Rock von Bands wie Nirvana oder auch Pearl Jam wie eine Erlösung. Im Nachhinein wirkt der Katzenjammer des Grunge, das Lebensgefühl, das er transportierte, freilich seltsam unmotiviert: Anfang der 90er-Jahre, nach dem Ende des Kalten Krieges, herrschte eine weltweite Aufbruchstimmung (manche sprachen nach dem Sieg des Westens vorschnell vom "Ende der Geschichte"), nach der sich viele heute sehnen.

Nicht nur deswegen steht ein Gegenspieler des zweifellos wichtigen "Nevermind"-Albums, wenn es um einen Platz in den ewigen Bestenlisten geht, grundsätzlich noch besser da: "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" ist in vielerlei Hinsicht erheblich prägender gewesen als "Nevermind". Und zwar ganz abgesehen von dem Tatbestand, dass die Urheber dieses Albums nun einmal die Beatles sind.

Die haben bekanntlich den Pop erfunden - und mit ihrem Gespür für Popmelodien auch die rauen Grunge-Bengel beeinflusst. Als "Sgt. Pepper" 1967 herauskam, war es ein perfekter Soundtrack für die jugendlichen und selbstbewussten 60er-Jahre. Die Jugend genoss neugewonnene Freiheiten, sie brachte die Gesellschaft in Bewegung - und die Beatles stellten fest: "A splendid time is guaranteed for all." Großzügig waren sie in der Tat: Beim Drogennehmen (Kiffen, LSD), beim Komponieren von Songs für die Ewigkeit ("Lucy In the Sky With Diamonds", "A Day In The Life") und deren Umsetzung im Studio.

Größenwahnsinniger war bislang noch keine Band gewesen. Das Album ist eine anspielungsreiche, verschlüsselte und reichhaltige Fundgrube. Auch für den Nachgeborenen passt es perfekt in eine Zeit, die unschuldiger wirkt als die Grunge- und auch die gegenwärtige Zeit. Weil beinahe jedes Früher unschuldiger wirkt als das Heute.