Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall - den Prozess der Woche.

Hamburg. Der Mann liebt die Verkleidung. Vollständig anders auszusehen, in überraschenden Klamotten, dazu aufwendig geschminkt. Doch lediglich in eine andere Rolle zu schlüpfen reicht Petar T. noch nicht, er mag die totale Verwandlung - in das andere Geschlecht. Dann nennt er sich gern "Kassandra", stöckelt mit hohen Stiefeln, in Strumpfhosen und mit schulterlanger Perücke durch die Gegend, mit dickem, sorgfältig aufgetragenem Make-up, das seine Züge weichzeichnen soll, in bester Stimmung, offenbar wie befreit. Eine Maskerade, die nichts verbirgt, sondern eher die wahre Persönlichkeit enthüllt.

Auf der Reeperbahn findet er Gleichgesinnte, Männer, die es mögen, mal deutlich feminin aufzutreten, einfach ausgelassen und nett. So nett, dass zwei junge Frauen gern die Gesellschaft von "Kassandra" und dessen ähnlich gestyltem Kumpel suchten, es brachte Spaß, man mochte sich, zog zu viert weiter in eine Diskothek. Es hätte eine tolle, eine lustige Nacht werden können. Doch für Anke M. wurde es zum Albtraum. Die 20-Jährige wurde vergewaltigt, auf einer schmutzigen Toilette des Etablissements. Dabei soll Petar T., 40, der Mann in Frauenkleidern, nicht der Haupttäter gewesen sein. Er habe dem eigentlichen Vergewaltiger geholfen, heißt es in der Anklage, wegen der sich T. jetzt vor dem Landgericht verantworten muss. Der Haupttäter konnte nicht ermittelt werden.

Gemeinschaftliche sexuelle Nötigung und Körperverletzung wird dem gelernten Friseur vorgeworfen. Laut Staatsanwaltschaft hat er am 18. Dezember vergangenen Jahres das spätere Opfer veranlasst, ihm auf die Damentoilette zu folgen. Dann sei ein bis heute unbekannter Mann dazugekommen, habe die Kabinentür abgeschlossen. Zunächst kam es laut Anklage zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden Männern, dann habe Petar T. die sich heftig wehrende Anke M. an den Händen festgehalten, während der andere Mann sie vergewaltigte.

Jetzt vor Gericht wirkt Petar T. gänzlich unauffällig. Ein Mann mit dunklem Haar und etwas teigigem Gesicht, die Kleidung schlicht, die Miene ein Spiegel seines Unbehagens, eine nervöse Unruhe umgibt ihn. Nein, er wolle sich nicht zu den Vorwürfen äußern, winkt der Angeklagte ab. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte er noch seinen Lebenslauf beschrieben. Dass seine Familie in Bulgarien versucht habe, ihn zu "liquidieren, als sie erfuhren, dass ich gay bin", erzählte er damals. Dass er daraufhin mit "irgendeiner Frau" zusammenziehen musste, mit ihr ein Kind zeugte, später mit einer anderen ein weiteres. "Ich bin bereits Großvater, habe seit Jahren aber nur Verbindung zu Männern."

Jetzt im Prozess sagen zunächst Polizeibeamte aus. Das Opfer habe gemeinsam mit einer Freundin die Tat angezeigt, erzählt ein Beamter. Anke M. habe "geweint, sie saß zusammengekauert da", erinnert er sich. Dabei sei es laut Schilderung der Frauen zunächst ein so harmonischer Abend gewesen. Die beiden Hamburgerinnen in Partylaune und die feminin gestylten Männer hätten sich gemeinsam auf der Toilette geschminkt. Dann habe einer der Transvestiten vorgeschlagen, man wolle "Männer klarmachen, damit die Frauen etwas ausgegeben bekommen". Wie die Stimmung plötzlich kippte, das Grauen, das ihr dann widerfuhr, hat Anke M. ebenfalls der Polizei geschildert. Ihre Aussage wurde auf Video aufgenommen und in der Verhandlung abgespielt.

Die Zeugin auf Video, scheinbar weit entfernt und doch zugleich unglaublich präsent, das reicht mitunter aus, um entscheidenden Eindruck auf den Angeklagten zu machen. So ist es auch bei Petar T. Unter Tränen räumt der 40-Jährige die Tat ein. Ja, er sei dabei gewesen, und ja, er habe das Opfer festgehalten. Mit diesem Geständnis hat er der 20-Jährigen eine Zeugenaussage im Prozess erspart. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine zweijährige Bewährungsstrafe, das Gericht erkennt auf ein Jahr und zehn Monate. Der 40-Jährige atmet auf. Vor dem Verhandlungssaal nimmt ihn sein Lebensgefährte in Empfang - und in den Arm.