Seit dem Wahlerfolg in Berlin wächst auch im Norden das Interesse an der Partei. In der gerade erst bezogenen Hamburger Zentrale wird es eng.

Hamburg. Im Erdgeschoss der Lippmannstraße 57 gibt es eine Zeit vor dem Sonntag. Und eine danach. Es ist Dienstagabend, kurz nach 19 Uhr, und die Hamburger Piratenpartei trifft sich zum ersten Mal nach dem Wahlerfolg der Berliner Kollegen. Am Eingang der Geschäftsstelle in der Sternschanze liegen Hauptstadtzeitungen aus. "Sensationserfolg der Piraten", titeln sie. Oder "Piraten im Abgeordnetenhaus". Drinnen haben sie Bierbänke zwischen die Stühle gestellt, in der Mitte stehen kleine Tische mit Infozetteln und orangenen Blümchen - die Farbe der Piraten. Und die neue Farbe im politischen Deutschland. Seit Berlin ist sie auch in Hamburg stark in Mode.

Mehr als 40 Menschen, vor allem in ihren Mittzwanzigern und Mittdreißigern, sind in die Lippmannstraße gekommen. Nur zwei davon Frauen. Die Wände sind weiß, keine Parteiplakate, keine politischen Slogans zieren den Raum, einige Steckdosen sind noch nicht verkleidet, an der Decke hängen Glühbirnen ohne Lampenschirm.

Erst im Mai sind die Hamburger Piraten in ihre neue Zentrale gezogen. "Normalerweise sitzen wir hier bei unseren Treffen mit so zehn, fünfzehn Leuten", sagt Andreas Gerhold, Abgeordneter der Piraten im Bezirk Mitte. So schnell könne man halt wieder rauswachsen aus einer neuen Geschäftsstelle.

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"Hallo, ich bin Christian, der Landesvorsitzende", sagt Christian Bucher zur Begrüßung. Man duzt sich hier schnell bei den Piraten und sitzt im Stuhlkreis. Einigen glänzt das Gesicht vom Licht der Laptops auf ihren Knien.

Und dann erzählen Christian und die anderen erst einmal viel aus Berlin. "Das war geil, einfach mal so auf der Medienwelle mitzureiten", sagt Christian. Wie einige andere Piraten hat auch er den Berliner Parteikollegen im Wahlkampf geholfen. "Sogar in der CDU-Hochburg Steglitz war die Stimmung der Hammer", erzählt Boris. Einige übernachteten auf Isomatten und Luftmatratzen in den Wohnzimmern der Berliner Piraten, aus fast allen Landesverbänden kamen sie in die Hauptstadt. Irgendwann habe man sich nur noch mit Twitter-Spitznamen angeredet, erzählt der 33 Jahre alte Claudius.

Wer an diesem Abend mit einem Piraten spricht, hört oft das Wort "Hype". Und auch Warnungen: Man müsse auf dem Teppich bleiben, Berlin sei ein Sonderfall. "Wir schicken jetzt niemanden in Fernseh-Talkshows und reden über den Krieg in Afghanistan mit", sagt Claudius. Für die Piraten gehe es erst einmal um die "innenpolitischen Hausaufgaben". Seine Sätze klingen nach Realpolitik. Und wenig nach Rebellion.

350 Mitglieder hatten die Hamburger Piraten vor der Wahl in Berlin. Programmierer gehören dazu, Werber, Nautiker, eine Judaistin, ein Kaufmann, auch Studenten. Schon bald seien es aber 400 Mitglieder, sagt Landeschef Christian. Allein am Tag nach der Wahl landeten 20 neue Mitgliedsanträge in der Parteizentrale. Vor der Tür hängt ein Briefkasten - herrlich analog, für richtige Post, nicht für E-Mails. Und er verrät viel über die Partei. "Ab hier beginnt die Privatsphäre. Die Piraten" steht in schwarzer Schrift auf einem orangenen Aufkleber. "Atomkraft? Nein danke" auf einem anderen. "Demokratie, Bürgerrechte, Transparenz" proklamiert ein Dritter. Vielleicht ist es dieser Dreiklang, der den Grundsatz der Piraten am besten verschlagwortet. In ihren Werbezetteln lehnen sie die Vorratsdatenspeicherung und Patente auf Software ab, aber auch die Atomkraft. Sie fordern die Gleichstellung aller Partnerschaften unabhängig vom Geschlecht und auch die individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten. "Wir sind soziallibertär", sagt Andreas. "Sozialliberal", sagt Burkhard. Aber eigentlich mache man sich über politische Lager eh nur Gedanken, wenn Journalisten nachfragen. Bei der Wahl im Februar holten die Piraten 2,1 Prozent in Hamburg, drei ihrer Kandidaten sitzen in zwei Bezirksversammlungen. In Mitte streitet Andreas gerade dafür, dass der Bauausschuss öffentlich tagt. In Bergedorf soll bald die Bezirksversammlung live im Internet übertragen werden.

Jede Partei braucht nicht nur Inhalte. Sie braucht auch Mythen für gutes Marketing. Die Hamburger Piraten gründeten ihre Partei vor vier Jahren - am Todestag des legendären Piraten Klaus Störtebeker.

In Schleswig-Holstein trafen sich die Piraten zu ihrem ersten Treffen im Restaurant Piratennest auf Fehmarn. Nach dem Erfolg in Berlin nimmt die Partei nun Kurs auf Kiel. "Wir wollen bei der Wahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein in den Landtag einziehen", sagt Sprecher Patrick Ratzmann. Nach der grandiosen Vorlage aus der Hauptstadt sei das möglich. Die 370 Mitgliedern setzen sich auch für ein Schleswig-Holstein ohne Gentechnik und ein Projekt für kostenlosen Nahverkehr ein.

In Niedersachsen gewannen die Piraten bei der Kommunalwahl vor gut einer Woche nur ein Prozent der Stimmen im Land. Sie waren aber auch nur in einem Drittel der Landkreise und Städte angetreten, und dort holten sie immerhin um drei Prozent. "Natürlich wollen wir jetzt auch hier zur Landtagswahl antreten", sagt Michael Leukert, Vorstandsmitglied der Landespartei. Derzeit haben sie 1000 Mitglieder - wie in Hamburg geht der Trend deutlich nach oben. Doch wie in Hamburg gab es auch bei den Piraten in Niedersachsen eine Zeit vor Berlin. Im Wahlkampf für die Kommunen kamen Passanten in Wolfenbüttel zu den Infoständen und beschwerten sich über Fahrpläne. Was denn nun sei mit den Floßfahrten?, fragten sie. Eine Antwort hatten die Wahlkämpfer nicht - denn, Pardon, mit den "Okerpiraten" und ihren Erlebnistouren im Piratenoutfit auf dem Fluss Oker hätten sie nichts am Hut.

Seit Berlin wird die Partei nicht mehr verwechselt - sie fällt auf. "In der U-Bahn sprechen mich Menschen sogar auf mein Piraten-T-Shirt an", erzählt Boris in der Hamburger Parteizentrale. Und sie kommen zu Treffen der Partei. Marc ist an diesem Abend zum ersten Mal da, ein 31 Jahre alter IT-Fachmann. Auch Alwin, Jahrgang 1950, und der 24 Jahre alte Patrick, der in Hamburg studiert und Lehrer werden will. In Berlin haben die Piraten allein 21 000 Nichtwähler mobilisiert. "Politische Arbeit ist auch echte Knochenarbeit", sagt Landeschef Christian zum Abschluss in die Runde. Vor allem im Wahlkampf. "Aber bei uns gibt's auch Kekse", ruft Andreas dazwischen.