Christa Schade zeigt Marco Steiner ihr Blankeneser Treppenviertel. “Der Hammer“, sagt der Hammer. Beim nächsten Mal lädt er ein.

Hamburg. Es ist kurz nach 11 Uhr, als Christa Schade verkündet, dass Alkohol ins Spiel kommt: "Jetzt trinken wir erst mal einen schönen 'Kieler Tropfen'", sagt sie, verschwindet und kehrt mit einer Pulle Hochprozentigem zurück. Wenig später rinnt brauner Kräuterlikör in schlicht gravierte Schnapsgläser, was selbst Marco Steiner um Fassung ringen lässt. Als Gastwirt kennt er diverse Trinkgewohnheiten. Aber um 11 Uhr morgens im Treppenviertel einen Kräuterlikör mit einer Frau zu stürzen, die genauso gut seine Mutter sein könnte - Blankenese hatte er sich irgendwie anders vorgestellt.

Der Mann ist Hamburger und durchaus schon im Westen der Stadt gewesen. Aber eine Einheimische trifft er heute zum ersten Mal. Christa Schade, die Urblankeneserin, die traditionelle Fischertracht trägt und ein ziemlich flottes Mundwerk besitzt, trifft Marco Steiner aus Hamburg-Hamm, der in kurzer Hose den norddeutschen Schweiger gibt. Sie kommen aus derselben Stadt, aber aus unterschiedlichen Welten. Heute zeigt die 69-Jährige dem 33-Jährigen ihren Stadtteil.

Im Hessepark, einem geschwungenen grünen Garten, beginnt die Reise ins Ungewisse. "Ich mag das hier, weil es der Park oberhalb des Treppenviertels ist", sagt Christa Schade. Seit ihrer Kindheit lebt sie im vielleicht schönsten Wohngebiet Hamburgs, und der Hessepark sei immer einer ihrer Lieblingsplätze gewesen: "Das Kastanienrondell mit seinen alten Bäumen, der neue Kita-Spielplatz, die Hundewiese und das kleine Schwimmbecken, das heute zur Grundschule gehört - schön hier, oder?", fragt die Trachtenliebhaberin. "Ja, das ist toll", sagt Marco Steiner. Benannt sei der Park nach dem ehemaligen Besitzer Georg Heinrich Hesse. Lektion eins: abgeschlossen.

Hamm habe ja auch grüne Ecken, sagt Marco. Aber beide Stadtteile ließen sich nur schwer vergleichen. Hier das gesetzte, traditionelle und nicht zuletzt berühmte Blankenese, dort der wandlungsreiche Hamburger Osten, dessen Nachkriegsbauten viele nur vom Weg zum Horner Kreisel kennen. "Das ist schon eine andere Welt", sagt Marco.

"So, und jetzt aufpassen", mahnt Christa Schade, "wir befinden uns nun am schönsten Blick Blankeneses." Am Steilen Weg schaut das ungleiche Paar auf ein Panorama wie gemalt: sonnengeflutetes Treppenviertel, Elbe mit Schiff, die Insel Schweinesand und dahinter das Alte Land. "Wahnsinn!", sagt Marco. "Ja, das ist es", sagt Christa Schade. Sie bleibe hier oft stehen und empfehle Touristen immer, statt der Strandtreppe den Steilen Weg an die Elbe zu nehmen. "Wegen dieses Blicks." Ein paar Meter weiter unten wohnt Christa Schade. Hier gibt es nach alter Sitte erst mal den Kieler Tropfen und eine kleine Hausführung. Alte Blankeneser Ansichten hängen hier, Trachtenmotive und das Modell eines Fischewers. Alles sehr maritim.

+++ Auch für Familien ist das Viertel attraktiv +++

+++ 5400 Stufen bis zum Feierabend +++

+++ Das Treppenviertel +++

Hier zu wohnen sei ein Privileg, sagt Christa Schade, bevor auch ihr Ehemann Klaus einen Blick auf den Besuch riskiert. Er war 26 Jahre lang Elblotse und gibt einen Schwank aus seiner aktiven Zeit zum Besten. "Als Lotse warst du froh, wenn die Schiffe einen Fahrstuhl hatten. Denn bis zur Brücke - das ist, als würdest du auf den Süllberg klettern", sagt er über seine Arbeit auf den gewaltigen Containerriesen.

"Dass Blankenese traditionell vom Wasser geprägt ist, hatte ich mir gedacht", sagt Marco Steiner. "Aber wie familiär und gastfreundlich es hier im Treppenviertel zugeht, ist schon erstaunlich." Denn Christa Schade grüßt, wird gegrüßt und kennt hier so ziemlich jeden. "Wir hatten auch schon eine ganze Busladung Chinesen im Garten", sagt sie, bevor eine Bekannte "Hallo Christa, ganz hinreißend siehst du heute wieder aus" flötet. Christa Schade kann zu fast jedem Haus etwas erzählen. Auch zu einem leer stehenden am Op'n Kamp: "Dieses Haus soll 2,9 Millionen Euro kosten", referiert sie vor einem schmucken Anwesen. "Es hat einen eigenen Weinkeller, und im Garten stehen die fürs Treppenviertel typischen Krüppellinden." Die seien wegen ihres spärlichen Kronenwuchses oft gewählt worden, damit der Elbblick nicht getrübt werde. Marco Steiner staunt. Krüppellinden? 2,9 Millionen Euro? So was gibt's in Hamm nur selten.

Dann queren die beiden die älteste Straße des Viertels, die Blankeneser Hauptstraße. Es geht zu einem reetgedeckten Haus am Brandts Weg. "Hier hat Johannes Brahms 1863 seine Kantate 'Rinaldo' komponiert. Und diese Laube im Garten stammt von der Weltausstellung in Paris", berichtet Christa Schade. Überhaupt: der Garten. Das Haus besitzt eine Terrasse, die einen Panorama-Elbblick freigibt, Blumen in knalligen Sommerfarben und eigenen Wein, der sich an der Fassade entlangrankt. "Weinlese in Blankenese", reimt Marco und lässt sich von der Hausherrin Renate Schade eine Kostprobe pflücken. "Eines der schönsten Grundstücke im Treppenviertel", sagt Christa Schade, bevor es mit Trauben am Gaumen weitergeht. Zu einem typischen Blankeneser Twee-Hus, dem Fischerhaus, in dem früher twee, also zwei Familien lebten.

An der Elbterrasse, kurz hinter dem Philippsstrom, der früher "Stinkbüddelgang" genannt wurde, weil sich dort die hangabwärts gespülten Fäkalien des Ortes sammelten, ist das Museumshaus des ehemaligen Lotsen- und Fischerdorfes. Heute steht ein Kochkursus für Herren auf dem Programm. Unter einem traditionellen Fangnetz, dem Buttgarn, verfeinern Blankeneser ihre Fertigkeiten am Herd. Jedes Knacken der Dielen atmet hier Geschichte. In einer historischen Wäschetruhe gibt es noch die "hohe Kante", auf die man früher Erspartes packte. Und hier erklärt Christa Schade: "In Blankenese bleibt nichts geheim." Irgendwer schaue irgendwem immer auf die Terrasse. Logische Konsequenz der engen Bebauung.

Auf dem Weg in Schuldts Kaffeegarten, einem Hangcafé mit 150-jähriger Tradition, rekapituliert Steiner: "Christa ist eine witzige Person. Traditionell und doch sehr offen." Durchaus vorstellbar für ihn, hier zu leben. "Nur dafür braucht man wohl das nötige Kleingeld - wenn man nicht hineinerbt", sagt der gelernte Maschinenbauer.

Angekommen in Schuldts Kaffeegarten, zeigt Besitzerin Ilse von Elm, wie schön der Süllberg ist. Auch hier: ein Blick zum Schmelzen. Diesmal auf das Airbusgelände. Hier verabschieden sich Marco und Christa - seit der Tour per Du. Aber, Moment: Was trägt man eigentlich unter so einer Tracht?, will Marco zum Abschluss wissen, worauf Christa kurz ihren Rock lupft und Einblick gewährt: auf eine lange Unterhose. Marco fasst zusammen: "Blankenese gefällt mir. Das ist der Hammer!"

Das Abendblatt porträtiert in loser Folge die Hamburger Stadtteile und ihre Bewohner. Im zweiten Teil lädt Marco Steiner einen Gast nach Hamm ein.