Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt eigentlich Selbstverständliches fest: Kapitäne über 60 können Flugzeuge sicher lenken

Sicher oder unsicher, das ist die wichtigste Frage in der Verkehrsluftfahrt. Immer wenn es um Flugzeuge, Passagiere, Besatzungsmitglieder oder Fracht geht, steht die Sicherheit im Vordergrund. In allen Fragen rund ums Fliegen gilt: safety first. Alles andere muss ihr untergeordnet werden, auch wenn das beispielsweise für die Passagiere unangenehme Folgen wie Verspätungen oder geplatzte Termine zur Folge haben sollte.

Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit vertritt die Auffassung, dass ältere Piloten ein erhöhtes Risiko darstellen, da sie aufgrund der mit dem Flugalltag verbundenen Anstrengungen wie Schichtarbeit und Nachtflüge krankheitsgefährdet seien.

Die größte Fluggesellschaft Deutschlands, die Lufthansa, akzeptiert diese Position ihres Tarifpartners allerdings nur halbherzig: Während ein Pilot das Cockpit einer Kranich-Boeing mit 60 Jahren verlassen muss, kann ein Pilot der Unternehmenstochter Lufthansa City Line seinen Embraer-Jet noch fünf Jahre länger steuern. Für ihn gilt nämlich ein eigenständiger Tarifvertrag, der keine unternehmensinterne Altersgrenze vorsieht. Ein Konzern, zwei völlig unterschiedliche Regelungen. Wie kann das sein, wenn es um die Sicherheit geht?

Der deutsche Gesetzgeber hat das Rentenalter für Berufspiloten auf 65 Jahre festgelegt. Das hat der Europäische Gerichtshof nun mit seinem Urteil bestätigt und damit klargemacht, dass die Altersgrenze von 60 eine Diskriminierung darstellt und gegen europäische Recht verstößt. Ebenso klar ist damit, dass Piloten ihre Flugzeuge bis zu diesem Alter sicher steuern können. Um gänzlich auf Nummer sicher zu gehen, gelten für ältere Piloten noch Zusatzanforderungen: Ab 55 Jahre muss der vorgeschriebene Medizincheck beim speziell zugelassenen Fliegerarzt zweimal statt einmal im Jahr erfolgen. Alle sechs Monate wird der Mitarbeiter also von einem Facharzt geprüft. Ist der Pilot bereits 60 Jahre alt, darf er nur mit einem Kollegen im Cockpit arbeiten, der jünger als 60 ist. Das allerdings macht den Fluggesellschaften das Leben schwer.

Die Einsatzplanung für einen Piloten über 60 wird gerade durch diese Zusatzregelung kompliziert, denn die Airline ist in ihrer Flexibilität eingeschränkt: Fällt der für einen Flug vorgesehene Kopilot aus und es ist kein der Altersanforderung genügender Ersatz verfügbar, müsste der Flug gestrichen werden. Gleiches gilt, wenn der Pilot das Flugzeug in ein Land fliegen soll, das an der 60-Jahre-Schwelle festhält. Sein Einsatz wäre dort illegal.

Vielfältige Erfahrungen mit dem Einsatz älterer Piloten hat übrigens die traditionsreiche Fluggesellschaft Icelandair. Das isländische Unternehmen ist wegen seiner geografischen Lage eine Art Luftfahrt-Verbindung zwischen den Kontinenten Europa und Amerika. Seit Langem liegt die Piloten-Altersgrenze in Island bei 65 Jahren.

Karl Morgenstern, der Grandseigneur unter den deutschen Luftfahrtjournalisten, erinnert sich an die grotesken Folgen dieser Regelung: "Mit dem 60. Geburtstag durften die amerikahungrigen Kapitäne nicht mehr gen Westen fliegen. Auf dem europäischen Kontinent allerdings waren sie weiterhin gern gesehene Flugzeugführer. Mit Sicherheit hatte das nichts zu tun, das war Willkür." Im Dezember 2007 hatte das US- Repräsentantenhaus ein Einsehen: Es beschloss die Erhöhung der Altersgrenze auf 65, seither dürfen auch ältere Berufspiloten in den USA fliegen.

In Kürze werden die älteren Lufthansa-Piloten es ihren isländischen Kollegen nachmachen dürfen. Ich finde das einleuchtend, denn die Grenze ist nun klar gesteckt und die intensiven Medizinchecks gewährleisten die Fitness der Piloten. Wahrscheinlich wird die neue Regelung aber nicht alle Lufthansa-Piloten bis zum 65. Geburtstag im Cockpit halten: Schon heute schätzen zahlreiche Mitarbeiter die Vorzüge von Teilzeitarbeit. Zusätzliche freie Tage ermöglichen eine längere Regenerationsphase vor dem nächsten Flug. Die Arbeit als Pilot - oft über viele Zeitzonen hinweg - ist sicher anstrengend. Aber wie anstrengend sie für den Einzelnen ist, entscheidet nicht die Gewerkschaft, sondern jeder selbst. Schließlich macht Fliegen den Frauen und Männern mit den goldenen Streifen am Ärmel vor allem eines: Spaß.