Vor 200 Jahren entstand das moderne Notariat hamburgischer Prägung. Am Freitag soll es gefeiert werden. Die Justizsenatorin hat ein Präsent.

Hamburg. Ein Park. Eine breite Kiesauffahrt. Eine riesige weiße Villa. Man erkennt das Jenisch-Haus. Limousinen fahren vor. Dunkel gewandete Herren steigen aus den Wagen. Die Kamera schwenkt auf den Hauseingang. Ein großes, glänzendes Messingschild mit schwarz eingelegten Buchstaben verrät, wer hier residiert: "Dr. Cornelius - Notar".

Die Tür öffnet sich. Eine kühl wirkende Sekretärin geleitet die Herren wortlos hinein. Drinnen holzgetäfelte Wände, schweres Mobiliar. Hinter einem riesigen Schreibtisch, bedeckt allein mit ein paar silbernen Accessoires wie Tintenfass, Federhalter und Löschwiege, sitzt der Hausherr: 50 bis 60 Jahre alt, streng zurückgekämmtes Haar, schwarzer Anzug, dunkle Krawatte, Halbbrille. Ohne jede Bewegung der Oberlippe beginnt er, Dokumente vorzulesen: leise, schnell, nuschelnd und ohne erkennbare Gemütsregung - bis jemand sich zu der Frage erdreistet, die seine Gesichtszüge für Sekundenbruchteile entgleisen lässt: "Können Sie das vielleicht auch ein bisschen langsamer und deutlicher?"

Die Szene stammt aus Helmut Dietls satirischem Film "Schtonk!", einer preisgekrönten Persiflage auf die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher1983 im "Stern". Ein wenig erinnert Cornelius an die Figur des "Dottore" aus der Commedia dell'arte - den Juristen, der ein arroganter Besserwisser und Bürokrat ist, pompös daherkommt und nichts versteht, außer es durch seine Künste zu Wohlstand zu bringen. Klischees mögen so haltbar sein, weil sie immer auch ein bisschen von der Wirklichkeit geprägt werden. Modernes Notariat hingegen sieht trotzdem anders aus als in der musealen Umgebung von Dietls klischierten Elbvororten - jedenfalls wenn man von der Neigung seiner Protagonisten absieht, ziemlich zügig, aber deshalb nicht notwendig unverständlich vorzulesen.

In Hamburg gibt es heute 61 Notare und 13 Notarinnen. Sie werden von der Justizbehörde ernannt. Hinzu kommen sieben weibliche und sieben männliche Anwärter auf den Beruf. Man nennt sie Notarassessoren. Jahrzehnte wurden Kandidaten in einem undurchsichtigen Verfahren ausgekungelt. Die Folge war ein Patriziernotariat mit durchaus dynastischen Zügen. 1986 schlug das Bundesverfassungsgericht dazwischen. Seither herrscht strenge Bestenauslese. Stellen werden bundesweit ausgeschrieben. Eine Chance haben nur Bewerber, die neben Eigenschaften wie Belastbarkeit, Diskretion und Zuverlässigkeit über zwei Prädikatsexamen mit den Noten "gut" oder "sehr gut" verfügen - unter Juristen eine Seltenheit. Notare sind Träger eines öffentlichen Amtes. Sie sind verpflichtet, ihre Klienten unparteiisch zu betreuen, möglichst objektiv zu beraten und Verschwiegenheit zu wahren. Ihre wichtigste Aufgabe besteht in der Beurkundung von Rechtshandlungen, bei denen der Gesetzgeber ihre Mitwirkung ausdrücklich vorgeschrieben hat. Das sind vor allem Immobiliengeschäfte sowie eine Vielzahl von Vorgängen des Gesellschafts-, Erb- und Familienrechts.

Die Zwecke der notariellen Form sind vielfältig. Primär geht es um Rechtssicherheit und Streitvermeidung sowie den Schutz von rechtlich unerfahrenen Personen vor Übereilung bzw. Benachteiligung. Die Einschaltung von Notaren dient aber auch der Entlastung staatlicher Einrichtungen wie der Grundbuchämter und Handelsregister. Im Interesse eines reibungslosen Rechts- und Wirtschaftsverkehrs begründen die dort geführten Verzeichnisse in weitem Umfang Vertrauen in die Korrektheit ihres Inhalts. Bevor Veränderungen in sie eingetragen werden, ist der Notar aufzusuchen. Er führt eine Art Vorverfahren durch, in dem er die Identität der Personen und die rechtliche Zulässigkeit prüft. Das sichert einen hohen Qualitätsstandard. Tatsächlich gilt er international als vorbildlich. Erst unlängst zeigte eine Harvard-Studie, dass die Kosten für Transaktionen in Deutschland selbst unter Einschluss von Notargebühren gering sind, wenn man sie mit denen in Ländern ohne Notare vergleicht.

Am Freitag begehen Hamburgs Notare den 200. Jahrestag ihrer Standesorganisation. Sie ist die älteste kontinuierlich existierende Notarkammer Deutschlands und ein Erbe der Franzosenzeit. Bis 1806 waren die "notarii" der Stadt hauptsächlich auf der Grundlage der Reichsnotarordnung von 1512 tätig gewesen. Notar konnte jeder werden, dem es gelang, die Gunst des für seine Ernennung zuständigen Hofpfalzgrafen zu erlangen.

Erst mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ging das Recht der Zulassung neuer Notare auf die "Freie Hansestadt Hamburg" über. Nachdem Hamburg zur Jahreswende 1810/1811 Teil des französischen "Departements der Elbmündungen" geworden war, löste napoleonisches Recht das Stadtrecht ab. Im August 1811 wurde der Code Civil für die Festlegung der beurkundungspflichtigen Rechtsgeschäfte verbindlich. Zugleich trat Frankreichs Notariatsverfassung auch in Hamburg in Kraft. Notare waren fortan "fonctionnaires publiques", also Hoheitsträger, die auf Lebenszeit ernannt wurden. Ihre Urkunden genossen öffentlichen Glauben. Umgekehrt war ihnen jedoch im Interesse von Seriosität und Unabhängigkeit jede andere Berufsausübung untersagt. Insbesondere war es unzulässig, zugleich Notar und Advokat zu sein. Alle Notare mussten Mitglieder der Kammer werden.

Die ersten Hamburger Nur-Notare im heutigen Sinne wurden im September 1811 vereidigt. Und obschon es nach dem Ende der Franzosenherrschaft zu einer Reform des "Besatzungsrechts" kam, behielt die Notariatsordnung von 1815 die wichtigsten Elemente des französischen Systems bei: den Amtscharakter des Notarberufs, seine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit anderen bezahlten Tätigkeiten und die Organisation des Standes in einer selbst verwalteten Kammer. All dies hatte sich offenkundig bewährt. Beim Nur-Notariat blieb es sogar, als die Stadt ab 1866 gänzlich von preußischen Gebieten umzingelt war. Dort war und ist es bis heute möglich, Notar und Anwalt in einer Person zu sein. Für Hamburg konnte sich das nie durchsetzen. Im Gegenteil: In den Teilen der Stadt, die einst zu Preußen gehörten, wurde nach ihrer Eingemeindung das Nur-Notariat eingeführt.

Charakteristisch für Hamburgs Notariat ist seit jeher sein Sozietätswesen. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sich Notare erstmals zu Partnerschaften verbunden. Früh war die Erkenntnis gereift, dass die gemeinsame Ausübung eine bessere Ausnutzung von Ressourcen, höhere Flexibilität bei der Betreuung von Klienten sowie die Möglichkeit zu Spezialisierung bot. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine Vierersozietät, die 1925 auf fünf Partner anwuchs. Um das Jahr 2000 gab es erste Büros mit bis zu sieben Notaren. Das Wachstum war Reaktion auf die Bedürfnisse eines Rechtsdienstleistungsmarktes, der hohe Terminflexibilität bei großer fachlicher Expertise erwartet. Tatsächlich steigerte es die Attraktivität des Notarstandortes Hamburg.

Unumstritten war diese Entwicklung freilich nicht. Tatsächlich gelten für Sozietäten in anderen Gebieten des deutschen Nur-Notariats wie Bayern und dem Rheinland seit Langem strenge Genehmigungspflichten. Unter anderem beschränken sie die Größe eines Büros auf maximal zwei Berufsträger. Historisch sind die Vorschriften ein Relikt des Nationalsozialismus. Sie sollten der Gleichschaltung und politischen Kontrolle des Notarstandes dienen. Nach dem Krieg wurden sie zunehmend zu einem Instrument, das den standespolitisch unerwünschten Wettbewerb kraft Bürogröße vermied. Noch 1961 gelang es dem Bundesrat, in der Bundesnotarordnung eine Ermächtigung zugunsten der Landesregierungen durchzusetzen, nach der diese Bestimmungen zur Höchstzahl von Notaren treffen können. Insbesondere Bayerns Notare verteidigen die Regelung bis heute.

Hamburgs Tradition verbot es, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen. Missstände oder Klagen aus der Bevölkerung über Schwierigkeiten beim Zugang zu notariellen Dienstleistungen waren nie bekannt geworden. Umso überraschender, dass der damalige Justizsenator Roger Kusch im Mai 2005 über Nacht ankündigte, die Eingehung von Notarsozietäten auch in Hamburg künftig genehmigungspflichtig zu machen, in der Regel dabei höchstens drei Berufsträger zuzulassen und größere Einheiten abschmelzen zu wollen.

Über die Motive für den Erlass der Verordnung wird bis heute gerätselt. Verschiedene Gerüchte machen die Runde. Nach einem war die Maßnahme eine Revanche Ole von Beusts gegenüber Ex-Bürgermeister und Notar Henning Voscherau. Der hatte seinen Nachfolger auf dem SPD-Parteitag 2004 scharf angegriffen. Nun sollte Voscherau, der eine Erweiterung seiner Sozietät plante, die Harke gezeigt werden. Kusch, so heißt es, habe dies in Gesprächen wiederholt bestätigt. Andere mutmaßen, dass der Vorstoß aus den Reihen der Notare selbst gekommen war. Über persönliche Verbindungen sei der "Kampf gegen die Großnotariate" an geneigte Ohren in der Justizbehörde getragen worden, um lästigem Konkurrenzdruck vorzubeugen. Tatsächlich gilt: Auch unter den glücklichen Umständen eines privilegierten Berufsstandes lässt die Angst vor Wettbewerb zuweilen den Boden für Missgunst gedeihen. Vermutlich ist die Wahrheit hinter Kuschs Handstreich eine Mischung beider und vielleicht noch weiterer Verschwörungstheorien.

Immerhin: Einstweilen scheint der Spuk um die Kusch-Verordnung ein Ende zu haben. Rechtzeitig vor dem Jubiläum hat Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) angekündigt, sie in den nächsten Wochen aufzuheben. Zwar soll sie nicht ersatzlos entfallen. Künftig soll es aber wieder möglich sein, Sozietäten mit bis zu fünf Partnern einzugehen. Das klingt nach einer klugen Idee. Die überwältigende Mehrheit der Notare hat die Verlautbarung daher begrüßt. Harmonisch soll der Geburtstag werden.

Spannend bleibt es trotzdem: Erst unlängst hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Tätigkeit deutscher Notare nicht "hoheitlich" im europarechtlichen Sinne ist. Was das mittelfristig für die Sozietätenfrage und so manch anderen alten Zopf bedeutet, ist nicht einmal in Ansätzen abzuschätzen. Und überdies: Schiedek ist im Senat auch für Gleichstellung zuständig. Man darf gespannt sein, was das für die erste Frau bedeutet, die Mitglied einer Sechserstaffel werden will. Dass größere Einheiten nicht nur für Mandanten, sondern auch für junge Notarinnen mit Kindern mehr Flexibilität bieten, dürfte unbestritten sein. Wie heißt es doch so schön? Big is beautiful!

Der Autor arbeitet selbst als Notar in Hamburg.

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